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Fahrbericht BYD Atto 3 – Der Softrocker

Mit dem Atto 3 will BYD im Kompaktsegment bis 40.000 Euro punkten. Eine ausführliche Ausfahrt rund um Amsterdam gab Gelegenheit, seinen Qualitäten auf den Zahn zu fühlen.

Der Atto 3 dürfte BYDs Topseller in Europa werden. | Foto: G. Soller
Der Atto 3 dürfte BYDs Topseller in Europa werden. | Foto: G. Soller
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Gregor Soller

BYD startet in Europa mit den großen Modellen Han und Tang sowie dem Atto 3. Während die ersten beiden noch auf der e-Platform 2.0 stehen, die noch eine Mischplattform ist, welche Verbrenner mit berücksichtigt. Der Atto steht auf der Platform 3.0, die rein batterieelektrisch entwickelt wurde und über die neue Blade-Batterie verfügt. Sie baut flacher, ist viel crashsicherer und lässt sich angeblich notfalls Blade für Blade tauschen.

Die Preise sind eher ambitioniert - dafür ist die Ausstattung ziemlich komplett

Ansonsten bietet der Atto 3 die üblichen Werte: 150 kW und 310 Nm, verteilt auf 4,45 Meter Länge. In den Niederlanden startet er aktuell bei 42.998 Euro brutto, was knapp 36.133 Euro netto wären. Womit er aktuell gerade noch 1.000 Euro unter dem günstigsten VW ID.3 und dem Tesla Model 3 liegt, aber gut 13.000 Euro über dem MG 4 und 1.000 Euro über dem günstigsten Megane E-Tech. Womit der Atto 3 nicht zu den Billigheimern zählt – was BYD auch gar nicht sein will. Man sieht sich laut Mike Belinfante, dem Head des Marketing Departments der European Auto Sales Division als „Premium“, allerdings nicht im herkömmlichen Sinne, sondern im dem Sinn, dass man All-in bieten will. Heißt Vollausstattung inklusive elektrisch verstellbarer Sitze, Panoramadach, Wärmepumpe und Soundsystem – allerdings nur mit 7-kW statt 11-kW-AC-Lademöglichkeit und ohne Vehicle to Load-Funktion. Wobei uns außer der Lademöglichkeit in der Basis tatsächlich nichts fehlen würde, auch nicht die elektrische Heckklappe oder das nur 12,8 statt 15,6-Zoll große Drehdisplay.

Außen brav, innen rockig - hier hebt sich der Atto 3 von der Menge ab

Die Optik eckt nirgends an – an der C-Säule orientiert man sich stark an VW aber das Ganze wirkt stimmig und unaufgeregt. Während außen also eher Hintergrundmusik läuft, werden innen die Verstärker aufgedreht und die Rockgitarre angeschlagen: Tatsächlich schufen die Interieurdesigner mit dem Colour-and-Trim-Team etwas ganz Eigenes, inspiriert von Fitnessstudios und einer Bühne voller Rockmusiker. So soll die Auflage der Mittelkonsole ein Laufband zitieren und die „Türtaschen“ sehen aus wie gespannte Gitarrensaiten – wenn auch nur deren drei statt sechs.

Wir fassen unter die Oberkante der Frontscheibe und fühlen, dass der Dachhimmel umgeschlagen und nicht nur abgeschnitten wurde und auch der Übergang von der C-Säule zum Dachhimmel passt perfekt und fugenfrei. Das sind Ecken, an denen VW oder Peugeot als auch „fast Premium“ gern mal ein paar Cent sparen oder fünfe grade sein lassen. Auch Ergonomie, Sitzposition und Haptik stimmen, ebenso das Raumangebot im Fond und Kofferraum, der 555 bis maximal 1.338 Liter Volumen auffahren kann. Supernett wäre zumindest für die Topversion noch eine mehrfach verstell- und dreifach klappbare Rücksitzanlage gewesen, um die Flexibilität weiter zu erhöhen. Und: Ein Frunk unter der Haube. Dort ist auch alles sauber verarbeitet, aber der Platz über dem Antrieb bleibt ungenutzt.

Direkt ausgelegt, kolossal am Kurbeln

Doch jetzt endlich den Startknopf gedrückt und losgeströmt – und es fällt uns schon beim Rangieren auf, wie indirekt BYD die Lenkung ausgelegt hat: zwar fällt der Wendekreisdurchmesser mit 10,7 Metern einigermaßen klein aus, doch man ist dafür kolossal am Kurbeln. Nachdem der Atto3 kein Hardcore-Offroader ist, bei dem man die Lenkung solchermaßen unempfindlich gegen Steinschläge machen will, dürfte BYD diese gern viel direkter übersetzen.

Analog zur Lenkung ist auch das Fahrwerk komfortabel abgestimmt, allerdings nicht zu schwammig. Es kann auch Querfugen gut wegdämpfen und bietet in schnellen Wechselkurven immer noch genug Straffheit. Wer es allzu wild treibt, schiebt einfach geradeaus – die Mehrheit der Nutzer dürfte damit ganz zufrieden sein. Sie bevorzugen es straffer? Dann wählt man den „Sport“-Modus, um festzustellen, dass der in Sachen Dynamik leider fast nichts bewirkt.

Ordentlicher Verbrauch, DC-Laden mit maximal 88 kW

Und so gleiten wir mit dem Atto 3 aus Amsterdam gut 50 Kilometer nach Lelystad und registrieren bei kalten fünf Grad Außentemperatur einen erfreulichen Verbrauch von 18,8 kWh/100 km, was rund 20,8 kWh/100 km brutto entspricht und damit im günstigen Bereich von Koreanern wie dem Kia Niro EV liegt. Allerdungs ist das Autobahntempo in den Niederlanden tagsüber auf 100 km/h limitiert und nur zum Überholen ziehen wir zeitweise auch mal auf 110 bis 120 km/h hoch. Trotzdem dürfte der Atto 3 mit seinem Blade-Akku zu den eher sparsameren Zeitgenossen gehören. Geladen werden kann mit bis zu 88 kW, was der Akkulebensdauer helfen soll, auf die BYD acht Jahre oder 200.000 Kilometer Garantie gibt bei einem SOH von 70 Prozent. Immerhin soll sich am DC-Lader der Hub von zehn auf achtzig Prozent binnen 44 Minuten schaffen lassen – auch weil BYD die 80 kW-plus Ladeleistung sehr lange halten möchte.

Die Bedienung des drehbaren(!) Zentralscreens gelingt einem schnell weitgehend intuitiv - schade ist nur, dass BYD auch die Klimatisierung darauf verlegt hat – das aber ohne Direkteinsprung. Ansonsten liegen Licht, Blinker und Scheibenwischer wie gewohnt in den Lenkstockhebeln, was den täglichen Umgang vereinfacht. So wie der Atto 3 überhaupt ein umgänglicher Typ ist – denn die Armaturentafel sorgt für ein freudiges Ambiente, die Sitze fallen groß und komfortabel aus – wie das übrige Fahrverhalten. Haptisch und optisch fährt er tatsächlich eine Stufe über ID.3 und MG 4, deren Fahrdynamik ist ihm jedoch fremd. Doch in Summe dürfte der Atto 3 das Segment durchaus rocken – vor allem, wenn BYD lieferfähig ist, auch wenn die Töne, die der Kompakte anschlägt, bei weitem nicht so laut und wild sind, wie es das Interieur beim ersten Eindruck vermuten lässt. Und für einen ein Basispreis für deutlich unter 40.000 Euro würden viele Kunden sicher auch auf den elektrisch verstellbaren Fahrersitz, das Glasdach und die 18-Zoll-Alus verzichten…

Was bedeutet das?

Der Atto 3 gibt grundsätzlich einen starken Einstand: Ergonomie, Haptik und Raumangebot bieten exakt das, was 98 Prozent aller Kunden tatsächlich täglich benötigen, bei Fahrwerk und Ladeleistung dürfte BYD allerdings gern mehr trauen –was man mit der Gestaltung des Interieurs ja bereits tat, wo der Atto 3 nicht nur frische Akzente setzt, sondern auch merklich mehr bietet als manch direkter Wettbewerber.   

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