Fahrbericht Alfa Romeo Junior Veloce: Junior wird wild!
Mit Cupra Born VZ, MG4 XPower, VW ID.3 GTX, Volvo EX30 Twin Engine, Smart#1 Brabus oder Zeekr x und Co bildet sich gerade ein neues Segment elektrisierender „Hot-Hatches“ im kompakten 4,2-Meter-Segment. Klar, das Alfa Romeo da auch mitfahren will. Weshalb man dem Junior Veloce einen eigens entwickelten Antrieb spendierte, der bis zu 207 kW und 345 Nm bietet und bis zu 15.200 Touren dreht. Den kombinierten die Italiener mit einem mechanischen (!) Sperrdifferenzial vorn und einer um die Mittellage extra spitzen, auf 14,6:1 übersetzten Lenkung.
Dazu kamen straffere Stoßdämpfer und Stabis, welche auch dafür sorgen, dass der Veloce 25 mm tiefer liegt als seine Geschwister. Damit er auch wirklich in 35 Metern steht, helfen die größeren, 382x32 mm Brembo-Stopper mit den Michelin Pilot Sport EV zusammen. Wir konnten das auf freier Strecke mal antesten und einen guten Biss bestätigen!
Auch der Junior gehört zu den elektrischen Leichtgewichten
Dabei hilft dem Veloce auch sein geringes Gewicht ab 1.590 Kilogramm, was allerdings nicht nur erreicht wird, weil der Junior so brav Diät hält, sondern weil alle Stellantis-Produkte des B- und auch des C-Segments mit einem netto 51 kWh bietenden Akku bescheiden, was die Gewichte gering hält. Das trifft auch auf diverse Citroen, DS, Fiat, Opel oder Peugeot zu. Ist aber auf jeden Fall positiv anzumerken, denn tatsächlich lässt sich der Junior Veloce sehr leichtfüßig bewegen. Für uns hätte die Lenkung gern noch spitzer sein dürfen, aber laut Produktmanager Michael Meffert wollte man es hier nicht übertreiben, da das Auto vielen Normalfahrer dann zu spitz und unruhig werden könnte.
Aufwändig: Das mechanische(!) Torsen-Diff an den Vorderrädern
Und so durfte man auf dem Ex-Alfa-Testgelände im italienischen Balocco und dem Ex-Opel-Testgelände im hessischen Dudenhofen nach Lust und Laune mit dem Veloce herumtoben und ja – der Grenzbereich liegt sehr hoch. Erst ganz spät schiebt der Veloce über die Vorderräder, lupft man das Fahrpedal, dreht er sich dagegen freudig ein und das Differenzial vorn sorgt dafür, dass ihm auch in engen Kurven erst praktisch nie die Traktion am vorderen kurveninneren Rad ausgeht – allerdings spürt man dann schon ein heftiges Zerren an den Vorderrädern und die bis dahin vorherrschende antriebstechnische Neutralität ist dahin. Aber: Dieser Bereich liegt sehr hoch und wird im Alltag eher kaum erreicht. Und Power ist immer mehr als genug vorhanden.
Etwas zahmer gibt er sich beim Durchbeschleunigen: Hier spürt man, dass ihm zu den Geely- und Volkswagen-Hot-Hatches ein paar Pferde fehlen – binnen 5,9 Sekunden ist er zügig, aber nicht katapultartig auf 100 km/h. Und beschleunigt dann bis Tacho 202 km/h weiter. Auch jenseits der 180 km/h liegt er dabei wie das sprichwörtliche Brett. Das Ziel: Fahrdynamisch will man hier immer (mit) Maßstäbe setzen, was unserer Meinung nach ganz gut gelang.
Harte Abstimmung, hartes Sportlenkrad und harte Sabelt-Sportsitze: Der Veloce ist nix für Weicheier
Zumal einem das knochige Lenkrad, die engen Sabelt-Sportsitze mit hohen Seitenwangen und die durchaus straffe Abstimmung schon per se in einen „Angriffsmodus“ versetzen: Den gut 4,17 Meter kurzen und 1,78 Meter schmalen Junior bewegt man deshalb grundsätzlich gern zügiger als manche Konzerngeschwister. Weshalb er härter und durchaus etwas nervöser wirkt als beispielsweise der sehr ausgewogene ID.3 GTX, was aber gut zum kantigen Charakter des Junior passt.
Die 398 bis 410 Kilometer WLTP-Reichweite des Basis-Junior Elletrica wird er nicht ganz schaffen, wir gehen real mal lieber gleich von 300 Kilometern plusminus x aus – passt. DC Laden kann er mit bis zu 100 kW, was heutzutage nicht mehr ganz so flott ist, trotzdem soll der Hub von 20 auf 80 Prozent SOC in weniger als 30 Minuten geschafft sein. AC lädt er mit maximal 11 kW, dann nennt Alfa 5 Stunden und 45 Minuten für eine Komplettladung. Wer sich zu Hause mit 1,8 kW begnügen muss, soll den Junior in weniger als 27 Stunden komplett geladen haben. Auch wenn der kleine Akku hier Kosten und Gewicht spart, schränkt er das Ladetempo natürlich etwas ein…hier sortiert sich der Junior eher vorsichtig am hinteren Ende des Hot-Hatch-Feldes ein.
Dafür klotzt er – ausgerechnet als Alfa Romeo - mit dem größten Kofferraum seiner Klasse, der mit 400 bis 1.265 Litern für ein 4,17-Meter-Auto tatsächlich großzügig bemessen ist, was auch für die 495 Kilogramm Zuladung gilt. Aber es gibt natürlich auch ein Aber: Im Fond finden größere Passagiere nur wenig Beinfreiheit vor und die Kopfstützen drücken so in den Schulterbereich, dass hinten Sitzende über 1,9 Meter dort eigentlich GAR NICHT sitzen können! Vorn nehmen eine oder einen dafür die Sabelt-Sportsitze gut in die Zange und punkten mit genug Verstellbereich, aber harten integrierten Kopfstützen. Fein sind deren Bezüge in Wildlederoptik, die sich auch in den vorderen Türverkleidungen und im Sichtbereich des Beifahrers auf der Armaturentafel findet und das Interior merklich aufwertet.
Rotstift statt rotem Lack: Im Interieur wurde teils sehr offensichtlich an der Haptik gespart
Ansonsten regiert hier der Rotstift: Die Dachverkleidung wirkt bis in die A-Säulen labberig und dünnhäutig und die Armaturentafel gibt sich nicht die geringste Mühe, ihre Zusammensetzung aus zwei offensichtlichen Hartplastikschalen zu kaschieren. Hier gibt es mittlerweile nur noch wenig noch günstiger wirkende Fahrzeuge im Segment. Immerhin reißen es die Eisbecher-Instrumentenabdeckungen und die beiden 10-Zoll-Screens – die mittlere dynamisch zum Fahrer geneigt – wieder ein bisschen heraus. Die Bedienelemente der Mittelkonsole und die Lenkstockhebel kennt man von den günstigen französischen Verwandten.
Was uns auch nicht gefiel: Das nach wie vor eher verschistelte Infotainment – während all der durchaus freudigen Fahrerei verloren wir mehrmals den Standardscreen und konnten nur noch Navi oder Telefon oder Sound bedienen. Und auch die Spracherkennung bleibt eher lala – nach wie vor ist das Alles keine Stellantis-Stärke. Das Abschalten der Nerv-Assistenten geht im Untermenü mit einem zusammenfassenden Befehl („alles wegschalten“), aber: Alfa hat hier ein leises Herzpochen als „Warnton“ gewählt, der grundsätzlich kaum stört! Gute Idee!
Und weil wir gerade kritteln, müssen wir auch noch die pizzaformatig-flache Kabelablage unter der Motorhaube, die edel mit Gasdruckfedern öffnet, erwähnen. Grundsätzlich ein tolles Zubehörteil, aber selbst als wir das kräftigere Standard-Ladekabel ganz ordentlich zusammenlegten und die Stecker in die dafür vorgesehenen Ausbuchtungen legten, bekamen wir die Pizzaschachtel nicht zu. Hier hülfen ein paar Millimeter mehr Höhe und eine Idee mehr Solidität.
Denn die Leichtigkeit des Seins zelebriert der Italiener nur zu gern auch in der Detailverarbeitung und Haptik, wo er es eher lässig angehen lässt. Viel lässiger als Volvo und Co. jedenfalls – was erwartungsgemäß natürlich Vor- und Nachteile bringt. Und Charakter. Der bei Alfa Romeo ganz wichtig ist.
Weshalb wir am Schluss auch konstatieren können, dass sich die Marke in Summe sehr treu geblieben ist: Der Junior fährt sich knackig und italienisch-lässig, bleibt Letzters aber auch bei Digitalisierung und Haptik. Ob einem das die geforderten 48.500 Euro Wert ist, muss jeder für sich entscheiden. Die 111 kW-Basis ab 39.500 Euro kommt demnächst in den Handel, der Veloce soll ab Ende 2024/Anfang 2025 folgen.
Was bedeutet das?
Der Alfa Romeo Junior schafft es abermals durchaus, eigene Akzente zu setzen. Er sieht gut aus, fährt sich knackig, spart aber etwas beim Infotainment und der Haptik. Womit sich die Marke irgendwo auch treu bleibt. So dürfte der Junior als Stückzahlenbooster funktionieren – und bereichert das Segment der elektrischen Hot Hatches durchaus, wenngleich er es nicht neu erfindet. Wir sind gespannt!
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