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Energieexperte: "Rennen bei Pkw zugunsten des E-Antriebs gelaufen."

Strom oder Wasserstoff? Über kaum eine Frage wird beim Klimaschutz so intensiv debattiert. Felix Matthes vom Ökoinstitut und Mitglied des nationalen Wasserstoffrates antwortet mit einem entschiedenen "sowohl als auch und je nach dem". Bei Pkw ist die Sache aber klar.

Abzahlen beim Laden? Felix Matthes hat diverse Ideen, wie sich E-Mobilität auch bei niedrigeren Einkommen realisieren lässt. | Foto: VW
Abzahlen beim Laden? Felix Matthes hat diverse Ideen, wie sich E-Mobilität auch bei niedrigeren Einkommen realisieren lässt. | Foto: VW
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Johannes Reichel

Die EU will sich ehrgeizigere CO2-Ziele geben. Ist Europa damit auf Kurs zur Klimaneutralität 2050?
Matthes: Teilweise. Beim Emissionshandel liegt die EU mit ihren Zwischenzielen für 2030 auf Kurs. Das betrifft den CO2-Ausstoß der Energiewirtschaft, der energieintensiven Industrie und des innereuropäischen Luftverkehrs. Für andere Sektoren gilt das nicht.

Im Verkehr, bei Gebäuden und in der Landwirtschaft muss die EU nachlegen, um bis 2050 auf Null zu kommen.

Was muss passieren?
In den nicht dem Emissionshandel für Energiewirtschaft und Industrie unterliegenden Bereichen sind Investitionsanreize für klimafreundliche Autos und die Sanierung von Gebäuden ein wichtiger Hebel. Die laufenden Kosten von Fahrzeugen und Heizungen sollten wir stärker an den CO 2-Ausstoß koppeln. Eine Möglichkeit für ein solche CO2-Bepreisung wäre ein europäischer Emissionshandel für Mineralölprodukte – der allerdings separat bzw. neben dem bestehenden System aufgesetzt werden sollte.

Wie sollte eine klimaneutrale Energieversorgung aussehen?
Der Schlüssel ist Strom aus erneuerbaren Energien. Um auf Kurs zur Klimaneutralität zu kommen, müssen wir den Anteil der erneuerbaren Energien in Deutschland bis 2030 auf 70 bis 75 Prozent steigern. Dazu müssen wir die verfügbaren Flächen für Windkraft und Solarenergie möglichst vollständig erschließen und Zuwächse wie in Spitzenjahren erreichen.

Wo hakt es?
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz wird den Anforderungen nicht gerecht. Zwar hat die beschlossene Novelle Stärken bei der regenerativen Stromerzeugung für den Eigenverbrauch, etwa bei der Förderung von Solaranlagen auf Privatdächern. Aber bei anderen Bereichen der Solarenergie und der Windkraft haben wir immer noch die Bremse drin. Eine wichtige Stellschraube sind auch einfachere Planungsverfahren. Spätestens 2022 brauchen wir die nächste EEG-Reform, um auf den notwendigen Ausbaupfad zu kommen.

Strom und Wasserstoff gelten als die großen Alternativen. Wie ist Ihre Haltung?
Der volkswirtschaftlich preiswerteste klimaneutrale Energieträger ist Strom – darum muss der Ausbau dort am schnellsten geschehen. Klimaneutraler Wasserstoff wird ebenfalls eine Säule der Energiewende sein. Allerdings wird Wasserstoff auch auf lange Sicht nicht billig werden – wegen der Umwandlungsverluste, wegen der Investitionskosten, wegen der Transportkosten beim Import.

Die Devise sollte sein: So viel elektrifizieren wie möglich, so viel Wasserstoff wie nötig.

Was ist wo sinnvoll?
Bei Pkw sollten wir den Mut zu einer klaren Entscheidung haben und sagen:

Das Rennen ist zugunsten des E-Antriebs gelaufen. Es macht hier keinen Sinn, Geld für Experimente auszugeben.

Auch für die dezentrale Gebäudeheizung gilt: Wir sollten knappes Geld nicht in Bereichen verdunsten lassen, wo Wasserstoff erkennbar keine Zukunft hat. In anderen Sektoren, etwa bei den Lkw, steht die beste Lösung dagegen noch nicht fest. Da müssen wir einen Suchprozess organisieren. Und dann gibt es einen dritten Bereich, in dem es ohne Wasserstoff nicht geht. Das gilt etwa für den Eisen- und Stahlsektor oder die Chemieindustrie.

Ist Technologieoffenheit nicht besser als Festlegungen?
Der oft kritisierte Mangel an Technologieoffenheit ist teilweise ein Mythos. Nehmen Sie die Kaufprämien für Autos:

Sie bekommen in Deutschland die gleiche Förderung für Elektrofahrzeuge wie für Brennstoffzellenautos, beide werden bei den europäischen Flottengrenzwerten gleichbehandelt.

Die Verzerrung ist eigentlich andersherum: In der aktuellen EEG-Novelle wird der Strom für die Produktion von Wasserstoff von der Umlage weitgehend befreit. Das ist auch richtig. Aber warum gilt das nicht für den Strom, mit dem Elektroautos geladen oder Wärmepumpen betrieben werden? Das ist eine Schieflage zugunsten des Wasserstoffs – selbst wenn es von interessierten Kreisen anders behauptet wird.

Sehen Sie Nischen für andere Lösungen – zum Beispiel synthetische Kraftstoffe?
Ja, im Flugverkehr und Teilen des Schiffsverkehrs, wo es keine Alternative gibt. Weitere kleine Nischen wird es immer geben. Aber das ist kein Pfad, den man großflächig vorantreiben sollte. Dazu sind die Umwandlungstechnologien zu ineffizient und auch längerfristig zu kostspielig.

Kritiker sagen: Wir sollten schon weit vor 2050 klimaneutral sein. Was würde sich dadurch ändern?
Man kann sich normativ sehr ehrgeizige Ziele setzen. Aber am Ende müssen sie auch mit den Investitionszyklen zusammenpassen – wir sprechen über zwölf Jahre bei Pkw, 20 Jahre bei Stahlwerken, 30 Jahre bei Gebäuden und mindestens 50 Jahre bei Infrastrukturen. Das ist mit Klimaneutralität im Jahr 2035 nur schwer in Einklang zu bringen. Ich weiß, dass das schmerzhafte Diskussionen sind – aber wir dürfen uns auch nicht in die Tasche lügen.

Wir haben in der Klimapolitik eine verlorene Dekade hinter uns – die holt man nicht einfach wieder auf.

Wie sieht ein realistischer Weg aus?
Wir müssen versuchen, so schnell wie möglich voranzukommen. Ein plastisches Beispiel ist die Ladeinfrastruktur für E-Autos. Zumindest in Großstädten wie Berlin sind wir heute schon ordentlich aufgestellt – aber für starkes Wachstum fehlen Ladesäulen. Die müssen zügig entstehen. Auch bei den Wärmenetzen kann die Devise nur sein: Ausbau, Ausbau, Ausbau. Parallel müssen wir den Hochlauf von Wasserstoff in der Industrie organisieren. Wenn ein Hochofen im Stahlwerk für viel Geld erneuert ist, dann kann man das nicht nach wenigen Jahren korrigieren. Oder es wird sehr teuer. Zusätzlich müssen wir den Marktaustritt der CO2-intensiven Kapitalstöcke fördern. Und wir dürfen die soziale Frage nicht vergessen.

Was genau meinen Sie?
Wir kommen aus einem System mit mittleren Investitionskosten und hohen Betriebskosten. Sei es bei Autos, Kraftwerken oder Stahlwerken.

In Zukunft werden die Anschaffungskosten dominieren – ob für Elektroautos, Windkraftanlagen oder ein CO2-freies Stahlwerk.

Über die Lebenszeit ist die neue Technik meist kostensparend. Aber wie geht man mit Leuten um, die die anfänglich notwendigen Investitionsmittel nicht haben, mit denen man über die Zeit Geld sparen kann? Das ist ein Problem, das bislang wenig bearbeitet wird.

Wie kann eine Lösung beim Autokauf aussehen?
Bei Autos können preiswerte Leasing- und Mietmodelle einen Beitrag leisten. Zumindest in den unteren und mittleren Preisklassen. Eine andere Möglichkeit: Abzahlen beim Laden.

Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass ich bei jedem Ladevorgang eine überschaubare Rate meines Autokredits zurückzahle.

Gleichzeitig könnte ich davon profitieren, dass Strom günstiger ist als heute Benzin. Solche Modelle zur Streckung der Kapitalkosten werden ein großes Thema sein.

Das Gespräch wurde zuerst veröffentlicht im Newsroom von Volkswagen.

  • Zur Person:

Dr. Felix Matthes (58) ist Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik sowie Energie und Klimaschutz beim Ökoinstitut. Er forscht unter anderem zu Dekarbonisierungsstrategien, Kohleausstieg, Emissionshandel und Strommarkt-Regulierung. Matthes war Mitglied der Kohle-Kommission der Bundesregierung und ist derzeit Mitglied des nationalen Wasserstoffrates. Er lebt in Berlin.

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