DVF-Debatte Straßenraum: Von weniger Autoverkehr profitieren alle
Spannende Debatte beim Kontrovers-Panel des Deutschen Verkehrsforums, just an dem Tag, als der neue Verkehrsminister von der FDP sein Amt antrat und der neue Koalitionsvertrag in Kraft trat. Die vom ZEIT-Ressortleiter Politik Marc Brost sanft dirigierten Diskutanten konnten kontroverser nicht sein und gaben dem liberalen Verkehrslenker vom Dienst gleich mal einige Botschaften mit auf den Weg in Sachen "Stadt, Rad, Auto - wem gehört der Straßenraum?" Denn dass eine Neuverteilung des Straßenraums ansteht, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, das stand für ADAC-Präsidenten und DVF-Präsidiumsmitglied Gerhard Hillebrand ebenso außer Frage wie für den Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) Burkhard Stork, wenngleich in verschiedener Intensität und mit anderen Schwerpunkten.
Koalitionsvertrag: Positiv für ADAC, schwammig für ZIV
Hillebrand warnte vor zu radikalen Eingriffen und gemahnte an die "Gelbwesten" in Frankreich, die man hier nicht haben wolle. Man müsse auch die Autofahrer "mitnehmen" bei der Transformation. Insofern gab Hillebrand dem in Sachen "radikaler Verkehrswende" eher dezenten Koalitionsvertrag im Kapitel Mobilität eine "8 bis 9" auf einer Skala bis 10, vor allem, weil es kein Tempolimit gebe und die Antriebswende "technologieoffen" vollzogen würde. Während Stork sehr viel "Gummi" in den Formulierungen fand, aber immerhin honorierte, dass es nicht mehr nur um die "Flüssigkeit des Autoverkehrs", sondern daneben auch um Klimaschutz, Umwelt und Gesundheit gehe.
ZIV: Radinfrastruktur muss Bedarf vorauseilen
Stork nahm auch eine Passage aus dem Koalitionsvertrag auf, in der es heißt, die Ladeinfrastruktur für E-Autos müsse dem Bedarf vorauseilen. Das wünsche er sich ebenso für die Radinfrastruktur, adressierte der ZIV-Chef an den neuen Verkehrsminister. Hier brauche es Mut, auch gegen die "not-in-my-backyard"-Mentalität, etwa, wenn es darum geht, Parkplätze für Radwege oder Stellflächen abzubauen.
Radverkehr mit großem Potenzial
Außer Frage stand allerdings für beide Verbandschefs, dass das Fahrrad eine zentrale Rolle bei der Verkehrswende spielen muss, dass es als Transportmittel aber in einen großen Meta-Plan, ein Gesamtkonzept mit klarer Vision eingebettet sein müsse. Vor allem auf kurzen Wegen, die bisher noch häufig mit dem Auto bewältigt werden, waren sich die konträren Diskutanten schnell einig: Hier besteht das größte Potenzial, im Hinblick auf Klimaschutz, Luftreinhaltung, Lärm und Platz. Man müsse das Gelegenheitsfenster nutzen. Das sei aber als "Einladung" für vernünftigere Fortbewegung zu verstehen, nicht immer gleich als "Akt der Weltrettung".
"Wir müssen den Leuten raushelfen, aus verrückten Routinen und rauf helfen auf's Rad. Für 500 Meter zum Bäcker braucht man kein Auto, für 50 Kilometer Überland vielleicht schon", plädierte Stork.
Tempo 50 behalten versus Tempo 30 einführen
Aber während Hillebrand die Radler in der Stadt lieber auf die Nebenstraßen schicken würde und die Hauptverkehrstrassen dem weiter bei Tempo 50 "fließenden Autoverkehr" vorbehalten würde, denkt ZIV-Mann Stork hier ganz anders. Er würde sowieso den Städten den Spielraum für generelles Tempolimit 30 einräumen und an Hauptverkehrsachsen erst einmal breite Radwege neben den Autos schaffen. Diese müssten nach seinem Dafürhalten baulich so getrennt sein, dass es sich schnell realisieren lässt, aber eben keine großen (tief)baurechtlichen Eingriffe verursacht. Im Anschlüss müsse man sehen, wie man den etwaigen Ausweichverkehr aus den Quartieren und Nebenstraßen heraushält - Stichwort Poller, modale Filter, Schwellen.
Verkehrsverlagerung? Er kann auch "verpuffen"
Womit Stork auch das Hauptargument von ADAC-Präsident Hillebrand konterte, Tempolimits und Verengungen würden nur zu Ausweichverkehr mit der Konsequenz von höherem CO2-Ausstoß führen, ebenso die Google-getriebene "Umleiteritis". Stork verwies auf Studien aus Paris oder anderen Metropolen, wo starke Eingriffe zugunsten des Radverkehrs zugleich zu einer drastischen Reduzierung des Autoverkehrs geführt hätten. Motorisierter Individualverkehr würde oftmals einfach unterlassen, wenn es nicht mehr bequem sei und Rad sowie ÖPNV eben schneller seien, argumentierte Stork.
"Straßen erzeugen eben Verkehr", meinte er trocken.
Am Ende würden alle profitieren, wenn durch eine gut ausgebaute Radinfrastruktur mehr Leute aufs Bike stiegen: Autofahrer stünden weniger im Stau, Busse kämen besser durch und Lieferdienste könnten leichter, vielleicht auch in temporär begrenzten Lieferzonen halten. Und Geschäfte hätten mehr Kunden:
"Kluge Händler schaffen Fahrradständer - denn da passen zwölf Portemonnaies hin", erklärte Stork.
Öffis für kurze Strecken nicht im Fokus
Für kurze Strecken sieht er auch den öffentlichen Nahverkehr nicht so sehr im Fokus. Wenngleich sich beide Diskutanten vorstellen können, Bus- und Taxispuren auch für (bevorzugt schnellere) Radler freizugeben. ADAC-Mann Hillebrand würde auch E-Autos das Privileg der Busspurnutzung erlauben. Letztlich aber eher ein Nebenaspekt. Für wichtigter hält man die Schaffung von Radparkhäusern nach niederländischem oder skandinavischem Vorbild. Das Geld hierfür sei vorhanden, es habe bisher einfach am politischen Willen gemangelt, kritisierte Stork.
Shared Spaces? In Deutschland liebt man Regeln
Zwiespältig sahen beide für Deutschland die Idee der Shared Spaces. Schilder komplett abbauen, in einem regelverliebten Land, meinte Hillebrand, das sei schwierig. Und ZIV-Chef Stork pflichtete bei:
"Es gibt nun mal keine gleichwertige Partnerschaft zwischen einem Fußgänger oder Radfahrer und einem Lastwagen".
Für Deutschland realistischer sieht man auch das "Kopenhagener Modell", bei dem ausgehend von einer einst auch "autozentrierten Stadt" entlang der Autotrassen immer mehr Platz für Fahrräder eingeräumt wurde. Im Gegensatz zum niederländischen Modell, das in deutlich mehr Zeit komplett eigene Radweginfrastrukturen geschaffen hätte, die für höchste Sicherheit, aber auch höchste Nutzungsraten im Modal Split, sogar bei Wind und Wetter sorgten. Einfach, weil das Rad das schnellste und bequemste Verkehrsmittel ist, um von A nach B zu gelangen.
Neues Straßenverkehrsgesetz: ADAC bremst, ZIV für "neu schreiben"
Ob man dafür nicht ein neues Straßenverkehrsgesetz braucht? Hillebrand bremst: "Man darf die Dinge jetzt nicht verkomplizieren und muss nichts grundlegend ändern. Die Kommunen haben doch bereits heute Spielraum", findet der ADAC-Präsident. Was glatt den Widerspruch Storks hervorrief. Er hält eine ganz andere "Toolbox" für notwendig.
"Unter dem Diktat des fließenden Autoverkehrs ist hier in den letzten Jahrzehnten alles weggeklagt worden an Radinfrastruktur oder auch nur Verkehrsberuhigung. Wissing sollte die StVO neu schreiben", empfahl der ZIV-Mann und kritisierte die bisherige Prioritätensetzung der CSU-Verkehrsminister.
Und fordert weiter andere Leitkriterien als "fließenden Autoverkehr". Etwa: Dass es der Gesundheit dient, mit dem Fahrrad zur KiTa zu fahren. Stork verwies erneut auf die Niederlande, wo es eine der geringsten Adipositas-Raten gebe, zugleich die Radnutzung die höchsten Raten in Europa aufweise. Hillebrand konterte, es müsse auch in Zukunft möglich sein, mit dem Auto in die Stadt zu fahren, motorisierter Individualverkehr müsse bezahlbar bleiben. Er gestand Kommunen aber das "vernünftige Management" des Parkraums zu.
Empfehlungen: Klaren Fokus - gute Alternativen schaffen
Und die Empfehlung an den neuen Verkehrsminister? Stork zögert keine Sekunde:
"Man darf nicht den Fehler von Andreas Scheuer wiederholen, alles ein bisschen fördern zu wollen. Es braucht einen klaren Fokus auf nachhaltigere Mobilität und zwar jetzt sofort", forderte er.
Am Ende würden alle profitieren von weniger Autoverkehr in der Stadt. Teilzustimmung von ADAC-Präsident Hillebrand: "Wenn gute Alternativen da sind, nimmt man auch den Öffentlichen Verkehr, das Rad oder eben auch nicht zu vergessen die eigenen Füße", plädierte er.
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