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Digitalisierung: Keine Automatik für Klimaschutz

Klimaschutz durch digitale Transformation, Realität oder Mythos? Neue Studien des ZEW zeigen ein ernüchterndes Bild über die Effekte der Digitalisierung für CO2-Reduktion. So führte etwa Homeoffice zu weniger Emission durch Mobilität, aber mehr durch Geräte, Streaming und Server. ZEW mahnt: "Komplexe Systemzusammenhänge".

Autobahn leer, Datenautobahn voll: Die Beurteilung der Klimaschutzwirkung durch Digitalisierung, Home-Office und veränderte Mobilität ist hochkomplex und nicht angetan für schnelle Schlüsse. | Foto: J. Reichel
Autobahn leer, Datenautobahn voll: Die Beurteilung der Klimaschutzwirkung durch Digitalisierung, Home-Office und veränderte Mobilität ist hochkomplex und nicht angetan für schnelle Schlüsse. | Foto: J. Reichel
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Johannes Reichel

Neue Studien haben Zweifel an den Potenzialen der Digitalisierung im Hinblick auf die Reduktion der CO2-Emissionen aufkommen lassen. Nicht zuletzt im Bereich der Mobilität sei der Zusammenhang äußerst komplex, mahnen etwa die Forscher des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim in einer äußerst umfangreichen Studie in Kooperation mit dem Borderstep-Institut, das auch Teilbereiche, wie etwa die digitalisierte Produktion von E-Autos bei eGO, Tesla oder dem MEB von VW speziell unter die Lupe nimmt. Viele Studien zu den Klimaeffekten der Digitalisierung würden mit relativ geringem Aufwand und auf Basis wenig belastbarer Annahmen erstellt, "ohne die komplexen Systemzusammenhänge zu berücksichtigen", kritisieren die ZEW-Wissenschaftler. Die Politik müsse hier grundsätzliche Spielregeln entwerfen, Nachhaltigkeit und Klimaschutz müsse zum "Mainstream der Digitalisierung" werden.

"Unsere Gesellschaft sollte mittlerweile aus der Phase heraus sein, wo sie große Branchen und klimabelastende Massenphänomene unbedacht entstehen lassen kann", mahnen die Forscher.

Dienstreisen: Erst mit Corona durchbrach die Routine

Ein viel diskutiertes Thema auch in der Corona-Krise war etwa der Faktor Dienstreisen. Auch wenn die Technik bereits seit vielen Jahren vorhanden gewesen sei, habe sich die Anzahl der Reisen zwischen 2004 und 2019 um 30 Prozent erhöht, so die ZEW-Studie. Die physische Unmöglichkeit durch die Pandemie erst durchbrach diesen Trend und verhalf den theoretisch vorhandenen technischen Möglichkeiten zum Durchbruch respektive zum Bruch mit alten Routinen. Aktuell halten selbst Vielreisende Geschäftsleute jede dritte Dienstreise für lässlich.

"Deutlicher kann es kaum werden, dass erst ein klarer Anstoß durch Regelungen Win-Win-Situationen erkennbar macht und ihre ökologischen wie ökonomischen Potenziale erschließt", konstatieren die ZEW-Wissenschaftler.

Ihre Forderung: Es brauche eine entschlossene Politik, um die Potenziale der Digitalisierung für den Klimaschutz auch zu erschließen. Als Beispiel nannten die Wissenschaftler die ebenfalls seit Jahren debattierten steuerlichen Vergünstigungen für Dienstwagen, die fragwürdig seien.

Home-Office ist umweltfreundlich? Ja, aber!

Dass während der Pandemie verstärkt auf's Home-Office zurückgegriffen worden sei, führe auch nur auf den ersten Blick zu positiven Klimaeffekten. Zwar würden Wege in die Arbeit wegfallen, aber die Sache sei komplexer, so das ZEW, weil Dienstfahrten oft weiteren Zwecken dienten, etwa Schulbringdiensten oder die Pflege von Angehörigen. Eine begleitende Umfrage ergab denn auch, dass nur ein Viertel der Befragten erwarten, künftig weniger fahren zu müssen. Bei der Hälfte bleibt es wie bisher und ein Fünftel prognostiziert sogar, mehr unterwegs sein zu müssen.

"Das Homeoffice ist eine neue technisch-soziale Möglichkeit, deren verstärkte Nutzung tief in die täglichen Routinen eingreift", stellen die Forscher fest.

Waren im November 2020 nur ca. 23 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice zufrieden, steigt dieser Wert im Juni 2021 auf ca. 43 Prozent, resümieren die Wissenschaftler weiter.

"Regelmäßige Arbeit im Homeoffice verändert das Mobilitätsverhalten im Alltag, wirkt sich auf die Ansprüche an die Wohnung aus und schafft unter Umständen sogar die Möglichkeit, dass noch deutlich mehr Menschen als ohnehin schon ihren Wohnort weit entfernt vom Arbeitsort wählen. Eine Flut von Reboundeffekten könnte also einer vermehrten Arbeit im Homeoffice folgen", warnen die Forscher.

So wünschenswert mehr Homeoffice für eine gute Work-Life-Balance auch sein mag, die Auswirkungen dieser vielfältigen Veränderungen auf den Klimaschutz lassen sich in Summe kaum beziffern, so die Conclusio. Da knapp 70 Prozent der Beschäftigten sich zwei bis fünf Tage Homeoffice pro Woche wünschen, sei es "von hoher Bedeutung, die Effekte auf den Klimaschutz realistisch zu beurteilen", meinen die Wissenschaftler.

Rebound-Effekte: Statt analog im virtuellen Raum unterwegs

Ein weiterer Faktor der stark gestiegenen Nutzung digitaler Endgeräte und Datenverbindungen (Informations- und Kommunikationstechnologien, IKT) war, dass die Geräte schneller und rascher ersetzt wurden, absolut häufiger in Gebrauch waren und das Datenvolumen stetig anstieg. Dafür wiederum ist eine aufwändig Infrastruktur notwändig, Netzwerke sowie Serverzentren treiben ebenso die Emissionen. So benötige etwa ein Tablet im Rechenzentrum zehnmal mehr Energie als beim Endnutzer. Dieser ruft häufig auch hohe Auflösungen ab, obwohl diese auf kleinen Geräten kaum wirksam werde. Und der größte Faktor ist zudem die Herstellung der Geräte mit 80 bis 90 Prozent, die nicht in Deutschland stattfindet. Ingsgesamt ist die CO2-Bilanz damit nicht gut. 

"IKT-Produkte weisen oft sogenannte Rebound-Effekte auf. Damit ist gemeint, dass die Produkte zwar immer effizienter werden, die Verbesserung der Effizienz aber zu einer zunehmenden Nutzung der Produkte führt. Richtig eingesetzt, kann die Digitalisierung dazu beitragen, den Verbrauch an Energie und natürlichen Ressourcen substantiell zu verringern", konstatiert das Borderstep-Institut. 

Digitalisierung in der Produktion: Je Software desto gut?

Die Autoren um ZEW-Wissenschaftler Janna Axenbeck und Thomas Niebel analysierten außerdem die Klimaschutzpotenziale einer digitalisierten Produktion erstmals empirisch, also den Zusammenhang zwischen der Nutzung digitaler Technologien und der Verbesserung der Energieintensität von Unternehmen. Die Notwendigkeit für nachhaltiges Wirtschaften sowie die Nutzung digitaler Technologien hätten in den letzten Jahren stark zugenommen. Darüber hinaus bestehe die allgemeine Annahme, dass digitale Technologien zu Energieeffizienzverbesserungen führen und dadurch CO2-Emissionen erheblich reduziert werden könnten, vor allem im energieintensiven Verarbeitenden Gewerbe, leiten die Autoren ein. Und kommen zu folgendem Fazit:

"Tatsächlich verringern digitale Technologien die Energieintensität in der Produktion, allerdings in einem viel geringeren Ausmaß als bisher erwartet. Die verstärkte Nutzung digitaler Technologien in Unternehmen geht also nicht zwangsläufig mit einer wesentlichen Verbesserung der Energieintensität solcher einher."

Um zu dieser Aussage zu kommen, haben sie administrative Paneldaten der statistischen Ämter des Bundes und der Länder zu 28.600 Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes zwischen 2009 und 2017 ausgewertet. Als Indikator des Digitalisierungsgrades eines Unternehmens diente das Verhältnis von Softwarenutzung zu Output. Ein Indikator für die Energieeffizienz ist die Energieintensität, sprich, die tatsächliche Energiemenge, die zur Erzeugung einer Produktionseinheit verwendet wird.

"Die Ergebnisse der Studie sind vor dem Hintergrund einer zunehmenden Digitalisierung und dringender klimapolitischer Maßnahmen besonders relevant. Unsere Ergebnisse sind für Politik, Beraterinnen und Berater sowie Unternehmen von Bedeutung, die mögliche Synergien zwischen digitalen Technologien und Energieeinsparungen in der Produktion überschätzen. Nur mit dem zielgerichteten Einsatz von digitalen Technologien sowie einem sinnvollen gesetzlichen Rahmen, der zum Beispiel potenzielle Reboundeffekte abmildert, können die Klimaschutzpotenziale von digitalen Technologien tatsächlich genutzt und so CO2-Emissionen reduziert werden“, erklärt Studienautorin Janna Axenbeck.

Ab in die Cloud? Auch Virtualisierung dient nicht zwingend dem Klima

Die Analyse der Fallstudien zu Cloud Computing und Virtualisierung in Unternehmen zeigte wiederum, dass mit
Hilfe solcher Lösungen die Energie- und Ressourceneffizienz deutlich gesteigert werden könne. Gleich-
zeitig sei aber in den untersuchten Fallbeispielen aber auch die Nutzungsintensität der Lösungen angestie-
gen. Digitale Innovationen erhöhten hier also einerseits deutlich die Effizienz, die Energie- und Ressourcenein-
sparungen werden aber auf Ebene eines einzelnen Anwenders andererseits teilweise durch eine intensivere Nut-
zung wieder ausgeglichen. Einzelwirtschaftlich sei dennoch aufgrund der möglichen Energie- und
Treibhausgas (THG)-Einsparungen eine verstärkte Nutzung von Virtualisierung und Cloud Computing
zu empfehlen. Die neuen Dienste und Nutzungsmöglichkeiten, die Cloud Computing bietet, führten in
Summe aber zu einer Ausweitung der IKT-Nutzung.

"Für Deutschland sind daher insgesamt keine Reduktionen von Energiebedarfen und THG-Emissionen durch Cloud Computing festzustellen", so das ernüchternde Fazit für diesen Bereich. 

Digitalisierte Fertigung von E-Autos und Häusern: Nicht per se klimafreundlicher

Das Nebeneinander beider Fallstudien zu Klimaschutzeffekten durch Industrie 4.0, hier für die Produktion von Elektroautos sowie serielles Sanieren, zeige, dass die innovativen Kräfte der Wirtschaft nicht allein durch die technischen Möglichkeiten freigesetzt würden, sondern dass es hierzu eines klaren regulativen Anreizes bedurfte.

"Die seit 2015 immer deutlichere Wirkung der Politik auf die Entwicklung schadstoffarmer und energieeffizienter Fahrzeuge basiert auf starken ordnungsrechtlichen Vorschriften der Europäischen Union wie auch in letzter Zeit auf den zahlreichen Ankündigungen von Nationalstaaten, die einen Verkaufsstopp von Verbrenner-Fahrzeugen meist im Jahr 2030 betreffen. Die Fallstudien zeigen nicht, dass die Möglichkeiten der Digitalisierung eigendynamisch zu mehr Klimaschutz führen", mahnen die Wissenschaftler.

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