Meinungsbeitrag

Denkfallen - Teil 4: Die Künstler-Falle

Erinnern Sie sich an den Typen, der kilometerweise Folie eingekauft und damit den Reichstag eingepackt hat? Oder an die Dame, die eine Tasse mit Tierfell auslegte? Oder an den Herrn mit Kriegsverletzung, der ranziges Fett auf einen Stuhl schmierte? Kunst kommt von Können und liegt bekanntlich immer im Auge des Betrachters. Schwierig wird es, wenn sich Kunst erstmal ausführlich erklären muss, da sie als solche nicht zu erkennen ist.

Christoph Erni, Gründer, CEO und Geschäftsführer von Juice Technology blickt in seiner Kolumne gern auch mal weit über den Tellerrand des Geschäftsalltages hinaus. | Foto: Juice Technology
Christoph Erni, Gründer, CEO und Geschäftsführer von Juice Technology blickt in seiner Kolumne gern auch mal weit über den Tellerrand des Geschäftsalltages hinaus. | Foto: Juice Technology
Redaktion (allg.)

Christo, Oppenheim und Beuys. Alle nannten sie sich Künstler und regten sicher zum Nachdenken an – doch der Grat zwischen „Kunst“ und „kann das weg?“ war vor allem bei Beuys sehr schmal. Tatsächlich wird ja immer wieder kolportiert, dass eine Reinigungskraft beim Säubern einer Beuys-Ausstellung diverse Elemente seines Kunstwerkes kurzerhand entsorgt hat, da überhaupt nicht als solches erkennbar. Das eigentliche Problem ist, dass immer mehr Leute sich heute als Künstler sehen. So hat es Beuys ja auch gemeint: „Jeder ist ein Künstler.“ Schade nur, dass ob so viel Selbstüberschätzung das höhere, übergeordnete Ziel schnell mal auf der Strecke bleibt.

Der Blick aufs große Ganze ist heute wichtiger denn je

In einer Gesellschaft, und erst recht in einem Unternehmen, haben wir alle unsere Aufgabe zu leisten. Zahnrädchen gleich, die in einem klassischen Uhrwerk so virtuos ineinandergreifen und die Komplikation erst zum Funktionieren bringen, muss jede und jeder von uns die Pflichten erfüllen. Sonst geht nichts in der Familie, in der Wirtschaft, in der Welt.

Aber genau dieser Blick fürs große Ganze geht heute oft verloren. Lustiges Ego kommt bei vielen vor dem „Bigger Picture“. Viele Spezialisten produzieren heute Gag um Gag, weil sie sich so kreativ fühlen. Sie sind stolz auf ihre Ergüsse, obwohl sie nur am Ziel vorbeischießen. Das ist der Künstler-Fehler, um den es heute geht.

Kunst ist nicht gleich gekonnt – ein paar Beispiele

Googeln Sie mal Nelly Wenger. Die Länderchefin von Nestlé sollte vor einigen Jahren die Cailler-Schokoladeverpackungen neu designen. Die Welt begann gerade von Nachhaltigkeit zu sprechen – und sie lancierte eine riesige rote Hartplastikbox, dreimal so groß wie vorher, mit weniger Inhalt, dafür einem gigantischen ökologischen Fußabdruck. Was für eine Künstlerin!

Oder nehmen wir den ehemaligen Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen. Dazu muss man wissen, dass Migros nicht nur der wichtigste Großverteiler der Schweiz ist, sondern auch irgendwie zur DNA des Landes gehört. Googeln Sie mal die grandiose Geschichte des Gründers Gottlieb Duttweiler. Er kommt bei uns grad nach Wilhelm Tell. Zumbrunnen hat vor einem halben Jahr „die größte Innovation in der Geschichte der Migros“ angekündigt. Kaffeekugeln im Algenmantel (und so schmeckt er auch). Währenddessen verliert die Migros in ihrem Kerngeschäft rasend schnell Marktanteile gegen Aldi und Lidl hier in der Schweiz. Was für ein Künstler!

Zum Abschluss noch ein Schwank aus der Autoindustrie. Der in den Siebzigern rost- und imagegeplagte Hersteller Alfa Romeo hatte eine tolle Idee. „Lasst uns die Zuverlässigkeit der Japaner mit dem Stil der Italiener verheiraten und das beste Auto je bauen.“ Entstanden ist exakt das Gegenteil, als „Arna“ (Alfa Romeo Nissan Automobili) bekannt: Mit dem Design der Japaner und Technik der Italiener. Er floppte kolossal. Was für Künstler!

Was bedeutet das?

Mein Tipp: Suchen Sie die selbstverliebten Selbstverwirklicher in Ihrem Unternehmen. Ersetzen Sie diese Künstler durch zuverlässige Schaffer, die zuerst den Sinn des Ganzen verstehen und erst dann kreativ handeln – aber eben mit Blick auf das „Bigger Picture“.

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