DECOMM 2022: Mobilitätswende braucht Vision - Mehrwert des Wandels betonen

Bei der Fachkonferenz für Mobilitätsmanagement wird die Skepsis von Planern und Wissenschaftlern deutlich, ob die aktuellen Maßnahmen für die Wende genügen. Es gehe um mehr als Technologie. Kritisiert werden "zementierte Autostrukturen".

Bessere und nicht nur Auto-Mobilität: An der TU München versammelten sich Planer und Wissenschaftler zur 11. Deutschen Konferenz für Mobilitätsmanagement. | Foto: J. Reichel
Bessere und nicht nur Auto-Mobilität: An der TU München versammelten sich Planer und Wissenschaftler zur 11. Deutschen Konferenz für Mobilitätsmanagement. | Foto: J. Reichel
Johannes Reichel

Bei der 11. Deutsche Konferenz für Mobilitätsmanagement in der Münchner Technischen Universität haben  Fachleute aus Wissenschaft und Planung ihrer Skepsis Ausdruck verliehen, ob das aktuelle Tempo genügt, eine Mobilitätswende herbeizuführen. Es gebe keine bundesweite Mobilitätsstrategie, an der sich die Kommunen orientieren könnten, monierte stellvertretend Burkhard Horn, Verantwortlicher für Mobilität & Planung bei der Stadt Freiburg. Es seien eigentlich aus fachlicher Sicht deutlich härtere Maßnahmen nötig, unterstrich auch ein Fachmann aus Aachen.

Es bestehe die Gefahr, warnte Horn weiter, dass der Eindruck erweckt werde, die Mobilitätswende könne mit Technologie und ohne eine Verhaltensveränderung gelingen. Das sei aber nicht der Fall, es gehe um eine grundlegende Änderung der Mobilitätsgewohnheiten, die tief auch in die Planung von Städten und Quartieren eingreife.

Kurze Wege: (Auto)Mobilität erst gar nicht entstehen lassen

Horn forderte eine Nutzungsmischung in Quartieren, die Mobilität gar nicht erst entstehen lasse. Es brauche einen Mix aus wirkungsorientierten und richtig priorisierten sowie ressourceneffizienten "Push & Pull"-Faktoren, wie es etwa die Stadt Freiburg seit kurzem mit rigiderem Anwohnerparken und generellem Parkraummanagement installiert habe. Man müsse unbedingt auch stärker das Umland in die Planungen einbeziehen, die Stadt selbst habe nur begrenzten Einfluss auf die Mobilität. Zudem dürfe man Multimodalität nicht nur auf die Cities beschränken, sondern auch das Umland mitdenken. Es gehe aber vor allem darum, dass die Bürger*innen die Mobiltätswende als "ihr Ding" begriffen, eine "ownership" entwickeln und von Seiten der Verantwortlichen den "Mehrwert des Wandels" zu unterstreichen statt Katastrophenszenarien zu propagieren.

Zementierte Auto-Strukturen: Ein bisschen Farbe genügt nicht

Die Strukturen seien leider wortwörtlich auf das Auto hin "zementiert", konstatierte Prof. Dr. Volker Blees von der Hochschule Rhein-Main. Ein bisschen Farbe helfe da nicht, meinte der Wissenschaftler und zeigte sich besorgt, wie man diese Bestandsstrukturen aufbrechen soll. Er stellte eine Studie "Suburban New Mobility" vor, welche Rolle kleine und mittlere Städte (KMS) bei der Mobilitätswende spielen könnten und konstatierte bei der Analyse von 98 KMS im Rhein-Main-Gebiet einen nach wie vor hohen Anteil des motorisierten Individualverkehrs fest. Das gelte, obwohl fast alle Kommunen einen Schienenanschluss, teils auch S- oder Tram-Bahn-Verbindungen hätten - mithin keine so schlechten Bedingungen für ein autofreies Leben.

Auch in kleinen Städten Infrastruktur oft am Rand

Allerdings stellte man auch eine Korrelation fest zwischen Pkw-Besitz und der Dichte der ÖPNV-Verbindungen. Umso erstaunlicher sei der hohe Pkw-Anteil, weil es sich bei vielen Kommunen um kompakte Siedlungen mit grundsätzlich guter Fuß- und Radeignung handle. Häufig lägen aber zentrale Versorgungseinsrichtungen an den Ortsrändern. Blees stellte aber auch mäßige Personalausstattung und Kompetenzen in den Kommunen fest und wies darauf hin, dass vieles von einzelnen Personen abhänge, wie etwa die Förderung von Pedelec-Mobilität durch den Leiter eines Bauamts. Hier müsse es eigentlich eine höhere Planungsebene mit übergeordneter und gebündelter Kompetenz geben. Blees regte auch eine "aufsuchende Mobilitäts- und Verkehrsplanung" an, die die Politik "qualifizieren" müsse.

Ist-Zustand ernüchternd: Mehr Pkw, mehr CO2

Ähnlich sehen die aktuelle Realität Alexander Rammert und Sven Hausigke vom Fachgebiet integrierte Verkehrsplanung der TU Berlin. Sie stellten fest, dass die CO2-Emissionen im Verkehr weiter stiegen, zudem immer mehr Pkw zugelassen seien, die Pendelfrequenzen nach Corona wieder zunähmen und sich das alles in einem überalteten Rechtsrahmen abspiele, so die Wissenschaftler. Hier forderten sie ein neues bundesweites Mobilitätsgesetz und einen modernen Gesetzesrahmen. Generell sei Mobilität leider auch nur ein Randthema in der Stadtplanung.

Soll-Zustand: Mobilität ist Ursache von Verkehr

Es gelte nun, diesen beklagenswerten Ist-Zustand in einen wünschenswerten Soll-Zustand zu überführen und die Stadt als Gestaltungsraum als zu begreifen. Es gehe darum, die Mobilität als Ursache von Verkehr zu begreifen, entsprechend früher anzusetzen und aus Nutzerperspektive zu agieren. Dafür brauche es quantitave und qualitative Daten und ein Konzept für Mobilitätsplanung. Diese sei nicht gleichzusetzen mit Verkehrsplanung. Es brauche "mobilitätsorientierte Planungsinstrumente".

Zentrale Plattform für Mobilitätsmanagement

Die Konferenz wird von der Deutsche Plattform für Mobilitätsmanagement (DEPOMM) e.V. in Kooperation mit dem Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr sowie der Landeshauptstadt München in den Räumen der Technischen Universität München veranstaltet. Sie will als zentrale Veranstaltung zum Mobilitätsmanagement in Deutschland allen Akteur*innen aus Planung, Stadtentwicklung, Wohnungswirtschaft, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung einen intensiven und persönlichen Austausch zu den aktuellen Herausforderungen, Lösungen und Entwicklungen rund um das Thema Mobilitätsmanagement versammeln.

"Die Mobilitätswende wird überwiegend aus der Perspektive von urbanen Räumen diskutiert. Dabei sind die Lösungsansätze zur Mobilitätswende in suburbanen und ländlichen Räumen nicht zu vernachlässigen. Der Schwerpunkt der diesjährigen DECOMM liegt auf den vielschichtigen Mobilitätsbedürfnissen in der Stadtregion: Welchen Beitrag kann das Mobilitätsmanagement dort zur Mobilitätswende leisten", formulieren die Veranstalter die leitenden Fragen.

In Praxisbeispielen wurden Ansätze und Projekte vorgestellt, wie sich betriebliche Mobilität nachhaltiger organisieren lässt. So stellte die NGO B.A.U.M etwa das Projekt "Landmobil" vor, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) stellte seine Bemühungen aus einem integrierten und umfassenden Ansatz für nachhaltige Mobilität im ländlichen Raum vor, etwa mit der Einführung eines Dienstradmodells und das Klinikum Essen präsentierte ein Projekt zur umweltfreundlicheren Mitarbeitermobilität vor, das etwa auch auf Fahrräder als Alternative setzt. 

Systemzugang Öffis: Jeder weiß, wie ein Auto funktioniert

In der Debatte wurde deutlich, dass vor allem auch Arbeitgeber und Betriebe am Land umdenken müssten und vor allem den ÖPNV stärker einbinden müssten, statt weitere Parkflächen für Autos auszuweisen und immer mehr Flächen für Parken und Wohnen zu versiegeln. Der Systemzugang sei zu komplex, monierte ein Zuhörer: Während jeder wisse, wie ein Auto funktioniert, sei das beim ÖPNV oftmals unklar, wie auch die Gegenprobe mit dem simpel zu verstehenden 9-Euro-Ticket gezeigt habe.

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