CONFERENCE DAYS 2023: Cargobikes gehört die Zukunft
Lastenräder prägen zunehmen das Stadtbild. Sie können in der „innerstädtischen Feinverteilung“ von Waren flexibler agieren als Lieferwägen, benötigen jedoch einerseits geeignete Verkehrswege, andererseits auch Platz für dezentrale Mikrodepots, von wo aus die Belieferung ins Zentrum erfolgen kann. Im Mittelpunkt der technologischen Entwicklungen für den professionellen Einsatz in der City-Logistik stehen neben dem geeigneten elektrischen Antrieb vor allem Bemühungen, die Traglast zu steigern, ohne dabei viel mehr Raum zu benötigen. Dafür sind gegenwärtig schon vom elektrisch unterstützten Lastenrad bis zum Leichtelektrofahrzeug verschiedenste Konzepte unterwegs, auch mit Anhänger.
In seiner digitalen Eventreihe CONFERENCE DAYS, die der HUSS-VERLAG dieses Jahr zum dritten Mal veranstaltet, referierten vier der Hauptakteure in der Entwicklung verschiedener Lastenrad-Konzepte in Deutschland zum Thema „Chancen und Grenzen von Cargobikes in der City-Logistik“.
1. Der Pionier
Als einer der ersten im Transport per Lastenrad ist Dirk Brauer schon seit 30 Jahren in Berlin unterwegs. Der Leiter Kuriercenter und der Projektentwicklung des Unternehmens Messenger, einer Vermittlungszentrale für Kurierdienstleistungen, bringt als solcher viel Erfahrungen im Bereich Fahrradkurier-Business und –logistik mit. Nach 15 Jahren, so Brauer, habe sich herausgestellt, dass die Fahrerlogistik für das Sendungsaufkommen nicht ausreiche, also experimentierte man mit Cargobikes.
Was 2006 mit einem kleinen Anhänger begann, wuchs sich bis heute auf einen ganzen Fuhrpark an Cargobikes unterschiedlicher Größe aus. Vor allem das Ziel, mit dem „Auto-Ersatz“ die Städte zu entlasten, meint er, habe dann wohl einen regelrechten Boom ausgelöst. Unter dem Namen „Entlaste die Städte“ läuft bei Messenger gerade ein zweites Projekt. Kleinlastenräder, so Brauer, seien aus den Städten gar nicht mehr wegzudenken, und ganze 50 Prozent davon seien bereits elektrifiziert.
Herausforderung Platz
Zwar steigere sich durch die Möglichkeit, mehr zu liefern, auch der Umsatz mit dem Geschäft, allerdings bestehe immer noch die Herausforderung, die Logistik auf größere Lastenräder auszuweiten und vor allem ausreichend Platz für die nötigen Micro-Hubs zur Verfügung zu stellen. Messenger arbeitet mit vier der großen Paketlogistiker zusammen, um Lösungen für Sendungsstationen oder „Paketboxen“ für die großen und kleinen Transporte zu entwickeln. Was die für das Geschäft ausschlaggebende Aufstellung von „Micro-Hubs“ angehe, sei man in Berlin tatsächlich schon recht weit gekommen.
Moderator Johannes Reichel, Ressortleiter Test + Technik bei LOGISTRA, wies darauf hin, dass die Lastenrad-Logistik vor allem bei großformatigeren Sendungen noch zu wünschen übrig lasse. Zwar seien KEP-Dienste gut beschäftigt, aber es würden eben zahlreiche andere Güter in Städte geliefert, und da nehmen die Trucks insbesondere viel Platz beim Liefern am Straßenrand ein. Zu speziell diesem Problem konnte auch der nächste Referent beitragen:
2. Stückgut-Logistik per Lastenrad
Mit dem System Fahrrad lassen sich zwar kleinere Waren gut transportieren. Aber wie sieht es mit größeren Lieferungen aus? Peter Blösl, Geschäftsführer von B4B Logistics, hat sich, neben der Beförderung mit dem Lastenrad, auch auf die Lieferung per e2trail-Anhängern zur Beförderung von Stückgut spezialisiert, als Ersatz für KEP-Transporte für die letzte Meile. Das Münchner Start-up will damit künftig bevorzugt in der Umweltzone der Stadt Kunden beliefern.
Mehrere Vorteile
Die Vorteile dieses Systems liegen für Blösl auf der Hand: Prognosen gehen zum Beispiel davon aus, dass in zwei bis drei Jahren kaum noch qualifiziertes Fahrpersonal für die Lieferfahrzeuge zur Verfügung stehen wird. Andererseits liegt der Kostenanteil zum Transport von Stückgut auf der letzten Meile bei erklecklichen 25 Prozent, mache also einen wichtigen Faktor aus. Zudem werde immer mehr Wert auf Klimaverträglichkeit gelegt. In diesem Zug werden Umweltzonen erweitert, Klimaaktionspläne seitens des Bundes und der EU erstellt, aber auch die Kunden würden immer mehr auf „Nachhaltigkeit“ achten – alles schlechte Karten für konventionelle Lieferfahrzeuge, aber ein ideales Spielfeld für lastenradartige Entwicklungen, die vor allem in Trailer-Form auch Stückgut in die Städte bringen könnten. Genau das macht B4B.
Das Unternehmen mit Sitz in Schondorf am Ammersee stellt die Logistikflächen mit Micro-Hubs, also Paketsammelpunkten, zur Verfügung. Dorthin liefern die Speditionen ihre Waren, die Paletten werden dann übernommen und von B4B umgehend zugestellt. Liefergebiet ist die in München für Umwelt und Kosten relevanteste und recht große Umweltzone, der Kernbereich der Stadt.
Einzeln bis 200 Kilo
Umgebaut zum komplett autarken Gefährt zur Aufnahme auch von Paletten beträgt die Zuladung als einzelnes e-Bike mit einer Länge von 3 Metern runde 200 Kilogramm. Die Eigenentwicklung wäre auch auf längeren Stecken einsetzbar.
Als Trailer bis 600 Kilo
Als Trailer mit Anhänger wird das e-Bike rund 5 Meter lang und kann dann, ebenfalls im selbständigen Einsatz, allein auf den Trailer rund 400 Kilogramm und somit als Gesamtgespann insgesamt 600 Kilogramm zuladen. Anfang Mai will das Unernehmen eine dreimonatige Testphase mit einem der größten Logistiker Deutschlands durchführen und später dann das System in ganz München ausbauen.
Gründliche Schulung vorab
Auf die Frage eines Chat-Teilnehmers, wann wohl für dieses Transportsystem auch eine Art Führerschein gefordert werde und wie entsprechend qualifiziertes Personal gefunden werden könne antwortete Blösl, man könne nicht auf eventuelle Regularien warten und das sei auch nicht unbedingt nötig. Das Unternehmen sorgt selbst für die Einarbeitung, schult die Mitarbeiter entsprechend, bevor sie auf die Straße gelassen werden – mit Erfolg: „wir hatten seit sieben Jahren mit schweren Lastenrädern noch keinen einzigen schweren Unfall“. Es würde mit der nötigen Vorsicht schon funktionieren – „man muss es bedächtig angehen“. Wichtiger Gesichtspunkt hier sei zum Beispiel die Verteilung des Gewichts vorne und hinten mit den Paletten. Auch arbeite man stetig an einer Verbesserung von Komponenten wie Bremsen.
Konkurrenz für Autofahrer
Auf jeden Fall könnten diese Transportmaschinen nicht auf den Radweg, man brauche separate Fahrspuren beziehungsweise müssten die Autofahrer sich künftig daran gewöhnen, vermehrt mit Lastenradvariationen auf der Fahrbahn konfrontiert zu werden. Für die e2Trail-Entwicklung als Verlängerung der Cargobikes für größere Transportmengen war auch der nächste Gast geladen.
3. Mit Anhänger für gewerbliche Nutzung: e2Trail
Das Unternehmen e2trail hat seinen Sitz ebenfalls in Schondorf am Ammersee und stellt für Gewerbetreibende Hub-Anhänger für Cargobikes zur Nutzung auf„Straße, Radweg, Fußgängerzone und Werksgelände“ her. Mit der integrierten Hubfunktion, die zukünftig auch motorisiert angeboten werden soll, lassen sich somit auch schwere Lasten heben.
Holger Emmert, Geschäftsführer von e2Trail, begründet die Entwicklung vor allem mit dem recht hohen preis für Lastenräder. Rund 20.000 Euro sind dafür fällig. Im Gegensatz zum Auto jedoch lägen Laderaumgröße wie Nutzlast eher im unteren Bereich und auch die Flexibilität lasse zu wünschen übrig. Weiterer Nachteil: die Ladefläche liegt genau zwischen den Rädern, so dass diese seitlich herausstehen und den Laderaum in der Breite verringern.
Mit e2Trail dagegen ließen sich diese Nachteile beseitigen, die Kosten für Ladekapazität senken. Als Nutzlast wird über 250 Kilogramm angegeben, an Ladevolumen bis 1,7 Kubikmeter. Auch sei die Ware mit der Hubfunktion erheblich flexibler zu bewegen. Mehrere erfolgreiche Testläufe hätten bereits im Gastronomiebereich stattgefunden.
Multifunktionaler Anhänger mit Hubfunktion und mehr Ladefläche
Der e2trail-Anhänger kann nicht nur ans Fahrrad fixiert, sondern auch als E-Handwagen oder Sackkarre genutzt werden. Auch ließen sich Sonderlösungen anfertigen, beispielweise eine Pick-up-Variante. Da seitlich keine Räder sitzen geht hier kein Platz verloren, die Ladeeffizienz wird dadurch gesteigert. „Wenn der Lader 80 Zentimeter breit ist, dann ist die Ladefläche genauso breit“ – so ergäben sich um bis zu 50 Prozent mehr Ladefläche gegenüber den herkömmlichen Lastenrädern bei gleicher Breite.
Zwar habe die Motivation auch mit Klimagesichtspunkten zu tun, aber ausschlaggebend für die Anwendung sei eben der Preis: „es muss sich rechnen“. Eine Studie komme zu dem Ergebnis, der Einsatz von Lastenrädern sei gegenüber dem Kfz-Transport tatsächlich kostengünstiger. Noch sparsamer und wahrhaft profitabel jedoch gestalte sich erst der Betrieb mit dem e2trail-Anhänger. Also auch ganz ohne Blick auf die „Nachhaltigkeit“ sei der Kostenvorteil immens.
Auch hier müssten die Lastenfahrräder jedoch in den normalen Straßenverkehr, „Cargobikespuren gibt es noch nicht“. Und hier mache dann auch die schon angedachte Tempo-30-Regelung Sinn, um mehr Akzeptanz zu schaffen.
4. Mit Mofaführerschein: HopOn-Leichtelektromobil
Für das Münsteraner Unternehmen CaritAutomotive, das ein HopOn-Transportsystem als leichtes E-Fahrzeug entwickelt hat, sprach Norbert Kerkhoff. Der 2009 gegründete Betrieb arbeitet unter anderem auf dem Gebiet der Abgasnachbehandlung und entwickelt Light Vehicles – für die „Fahrradhauptstadt Münster“ mit mehr Fahrrädern als Einwohnern ein recht naheliegndes Thema. Kerkhoff geht davon aus, dass die Liefermenge zukünftig noch stärker ansteigen wird. Da aber KEP-Dienste schon jetzt nicht mehr überwiegend Gewerbegebiete, sondern auch innerstädtische Bereiche anfahren sei absehbar, dass mit Aufkommen vermehrter Lieferungen neue Lösungen gefunden werden müssten.
CaritAutomotive hat zur Problemlösung mit einigen der wichtigsten Paketdienstleister zusammengearbeitet und aus den Ergebnissen seit 2016 immer im Vergleich mit Cargobikes und Lastenrädern das Konzept eines neuen Lieferfahrzeugs entwickelt. So sollte das neue Produkt zum Beispiel idealerweise schmal und wartungsarm sein und über ein integriertes Mini-Depot verfügen – immer nach dem Prinzip „weniger ist mehr“: schmal, wendig, emissionsfrei, mit universeller Plattform.
Daraus entwickelte sich der Gedanke einer Mini-Depot-Lösung, die von zwei Personen bedient wird: einer bedient als Fahrer das Mini-Depot, der andere fährt dann mit den einzelnen Waren auf dem e-Gefährt die letzte Meile ab. Die Entwicklungen sind zum Teil noch am Laufen, das Patent für die HopOn-Lösung als leicht-Elektromobil ist gerade in der Endphase, so Kerkhoff. Es sei auf automotivem Standard aufgebaut, für den Straßenverkehr zugelassen und benötige zur Bedienung lediglich einen Führerschein der Klasse AM (klassischer Mofaführerschein), damit sei auch die Sicherheit gewährleistet.
Auch hier gehen die Ideen noch weiter: so arbeite man an einer HopOn-Box als Longversion für zwei Paletten so dass sich insgesamt vielfältige Anwendungsgebiete erschließen für beispielsweise Kommunen, Garten- und Landschaftsunternehmen, Lieferdienste und den Lebensmittelsektor. Auch GPS-Tracking- und Fernbedienungsfunktionen sollen integriert sein. Außerdem schließt und öffnet das Fahrzeug automatisch je nachdem, wie weit sich der Fahrer entfernt. Das HopOn Classic dient zur Aufnahme einer Standardpalette bis 250 Kilogramm Gewicht, die Longversion für zwei Paletten soll sich sogar leichter fahren lassen „man hoppt auf das Fahrzeug auf und hat eine gute Übersicht“.
Bis 90 Kilometer Reichweite
Die Reichweite hängt von der Akkuleistung ab und sollzwischen 25 und 90 Kilometern liegen, im Durchschnitt hätten sich im Test mit KEP-Diensten etwa 50 Kilometer ergeben. Kosten für das HopOn: etwa 13.600 Euro für die Standardversion. Und auch an ein bequemes Laden ist gedacht mit mit einem normalen Stecker, über den sich überall der Akku wieder fitmachen lässt.
Die Abschließende Frage drehte sich um die Hindernisse für den Einsatz von E-Cargobikes und welche Regelungen wünschenswert wären. Hier waren sich alle einig: es gebe zwar Fördermittel in gewissen Bereichen, aber „da muss vonseiten der Regierung noch mehr passieren“ (Brauer). Schließlich brauche man für Investitionen auch Planungssicherheit. Dennoch sehe man die Entwicklung auf einem guten Weg: „es geht vorwärts“, vor allem wenn auch Service und Wartung größere Beachtung fänden: hier wären noch zu wenige Werkstätten speziell auf diese Fahrzeuge spezialisiert. Brauer: „Wenn ein Logistiker sowas nutzt, kommen die Fahrzeuge bei 50 Kilometern am Tag schnell ans Limit“.
Generell sei der Trend nicht mehr aufzuhalten – den Spielball müssten nun aber auch die Politik und Kommunen aufnehmen, das Potential auf diesem Gebiet habe man offenbar „noch gar nicht richtig begriffen“.
Mit Einrichtung entsprechender Regelungen, so Moderator Johannes Reichel, sollte sich das Geschäft jedoch beschleunigen lassen – „dann wird der Businesscase sicherlich auch größer“, beispielweise wenn laut Radlogistikverband bis 2030 „mindestens 30 Prozent der Zustellungen tatsächlich per Lastenrad erfolgen“ sollen. Reichel als Resumée: die Lösungen sind da, man muss sie nur anwenden.
Umfragen:
Während der Veranstaltungen wurden zwei Umfragen unter den zugschalteten Teilnehmern durchgeführt:
1. Wieviel trauen Sie den Cargobikes zu, welches Potential. Wieviel Sendungsaufkommen in der urbanen Logistik könnte hier geleistet werden?
Aus den drei Wahlmöglichkeiten stimmten 44 Prozent für „50 Prozent“, 40 Prozent schätzten das Potential mit „25 Prozent“, der Rest mit „10 Prozent“.
2. Rechnet man mit weiteren Zufahrtsbeschränkungen für Diesel- und konventionelle Transporter? (Reglementierungen in Umweltzonen zum Beispiel)
Auch hier standen drei Möglichkeiten zur Wahl. 70 Prozent meinten „ja“, 12 Prozent „nein“ und 14 Prozent „vielleicht“.
Die CONFERENCE DAYS, das B2B-Wissens- und Networking-Event für die Branchen Logistik & Intralogistik, Truck & Bus sowie Automotive & Taxi des HUSS-VERLAGS, dient der Wissensvermittlung zu aktuellen Themen und dem Branchen-Networking. Die Teilnahme ist allen Interessenten noch bis 10. März 2023 kostenfrei möglich. Weitere Informationen und Anmeldung unter: https://conference-days.de
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