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Meinungsbeitrag

CO2-Emissionen auf Drei-Grad-Kurs: Flatten the curve!

Wie unter einem Brennglas führt uns die Pandemie vor Augen, was passiert, wenn wir zu spät handeln: Das gilt auch und erst recht beim Klimaschutz. Der jüngste UN-Bericht sieht die Welt auf 3-Grad-Kurs, der Corona-Knick bremst kaum. Schluss mit dem Pille-Palle!

VM-Redakteur Johannes Reichel plädiert für die konsequente Anwendung der Impfstoffe gegen das Klima-Fieber: Emissionsfreie Mobilität, regenerative Energie und CO2-neutrale Wirtschaft. | Foto: HUSS-VERLAG
VM-Redakteur Johannes Reichel plädiert für die konsequente Anwendung der Impfstoffe gegen das Klima-Fieber: Emissionsfreie Mobilität, regenerative Energie und CO2-neutrale Wirtschaft. | Foto: HUSS-VERLAG
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Johannes Reichel

Es ist eine seltsame Analogie, aber in der Pandemie wie beim Klimaschutz gilt der Kanzlerinnen-Satz: Es reicht einfach nicht. Und zwar bei weitem nicht. Man muss kein Alarmist sein, sondern nur Realist, um die jüngsten Zahlen des UN-Klimaprogramms als ultimative Aufforderung zu nehmen, jetzt endlich und zwar wirklich zu handeln. "Schluss mit dem Pille-Palle", hatte die Kanzlerin im Sommer 2019 von ihren Ministern im Bezug auf den Klimaschutz gefordert. Das gilt immer noch: Denn die sogenannte Emissionslücke (Emission Gap) ist gewaltig. Ohne drastische Einschnitte sei die Welt auf Kurs einer Erwärmung von über drei Grad Celsius gegenüber vorindustrieller Zeit.

"Das bedeutet eine Katastrophe", kommentierte UN-Generalsekretär Antònio Guterres trocken. Und schiebt gleich mahnend hinterher: Mit der Erholung der Wirtschaft seien auch die Emissionen wieder im Anstieg begriffen. "Mancherorts sogar über das Niveau vor Covid".

Wie bei der Bewältigung der Corona-Krise wird hier lange an den Symptomen herumgedoktert und quasi mit "homöopathischen" Mitteln versucht, gegenzusteuern. Diese "Mittel" stellen die bisherigen Klimaschutzzusagen der Staaten dar, die der Bericht zusammenfasst und hochrechnet, was sie bis 2050 für die CO2-Reduktion brächten. Ernüchterndes Ergebnis: 3,2 Grad Erwärmung. Liebe Staatenlenker, das ist nach Schulnoten eine "Sechs", im Wortsinne von "ungenügend", setzen. Und bitte dringend nachschärfen!

Wir müssen, wie EU-Klimakommissar Frans Timmermans völlig zurecht forderte, Mobilität in Europa "systematisch neu denken". Weg von der "schrittweisen" Veränderung und hin zu einer "grundlegenden Transformation" des Verkehrssektors.

Anders gesagt: Schluss mit dem Pille-Palle! Her mit dem wirksamen Impfstoff gegen das planetare Fieber! Und den gibt es ja längst. Zahlreiche verschiedene sogar!

Und diese Mittel sind auch längst zugelassen. Werden halt nicht von jedem angewandt. "Impfgegner" oder "Wirksamkeitszweifler" gibt es auch beim Thema Klima genug. Aber fakt ist: Man hat im Pariser Abkommen die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels, zumindest unter zwei Grad versprochen. Davon ist die Welt derzeit weit entfernt. 

Die Corona-Pandemie hat zwar für einen sichtbaren, allerdings extrem kurzen Knick gesorgt. Der Lockdown der Welt senkte die Temperatur gerade mal um lächerliche 0,01 Prozent.

Vor der Pandemie waren die THG-Emissionswerte aller Treibhausgase dafür drei Jahre lang gestiegen, zuletzt 2019 um 1,1 Prozent auf 52,4 Gigatonnen, mit dem Löwenanteil beim CO2. Schlägt man noch die durch viele Brände oder Rodungen vernichteten Kohlenstoffspeicher in Form von Wald oben drauf, landet man sogar bei 59,1 Gigatonnen THG in der Atmosphäre.

Die Corona-Krise für "grünen Umbau" nutzen

Für umso wichtiger wäre es, das "Wiederanfahren" der Wirtschaft für den grünen Umbau zu nutzen. Das ist einer der wenigen Hoffnungsschimmer: Denn zahlreiche Staaten wollen diesen Prozess mit "grünen Konjunkturprogrammen" stützen, und die eine Krise als Chance für die andere Krise nutzen. Die UN rechnet hoch, wenn all diese Maßnahmen konsequent auf Klimaschutz, Emissionsreduktion und nicht zuletzt saubere Mobilität ausgerichtet würden, wäre die "Welt, wie wir sie kannten" zumindest näherungsweise noch zu retten.

Konkret: Dann ließen sich die THG-Emissionen auf 44 Gigatonnen bis 2030 drücken. Noch immer weit vom 1,5-Grad-Ziel, das eigentlich schon Makulatur ist, entfernt. Aber: Ein Erwärmungsstopp auf zwei Grad wäre immerhin greifbar. "Eine grüne Erholung von der Krise könnte einen großen Teil der Emissionen wegnehmen", erklärte hoffnungsvoll die Chefin des UN-Umweltprogramms Inger Andersen. Gut, dass gerade die EU-Spitzen tagen.

Alter Reflex: Klimaschutz können wir uns nicht mehr leisten

Freilich gibt es auch in Deutschland die politischen Strömungen oder besser Reflexe, vorzugsweise aus dem neo-liberal und "konservativen" Lager, die argumentieren, Klimaschutz könne man sich jetzt nicht mehr leisten, erst müsse sich die Wirtschaft erholen. Wieder andere "Querdenker" verleugnen gar das Problem an sich, in der Pandemie wie beim Klima. Das ist komplett falsch gedacht und aus einer anachronistischen Logik heraus gedacht, die sich die Welt nicht mehr, nein, eigentlich noch nie leisten konnt. Beides muss einhergehen. Endlich.

Wobei nun ausgerechnet die Bundesrepublik unter der einstigen Umweltministerin Angela Merkel alle Chancen hatte, in den vielen Jahren ihrer Kanzlerschaft der Welt ein Beispiel für die grüne Transformation einer Industrienation durch eine konsequente Verkehrs- und Energiewende zu geben und dabei, jede Wette, mindestens so viele Arbeitsplätze zu schaffen, wie in alten Industrien verloren gegangen wären. Doch vieles ist von retardierenden Widerständen gebremst, zerredet und zerpflückt worden, wie von der Wissenschaft frühzeitig angeratene harte Corona-Beschlüsse von der Ministerpräsidenten-Konferenz.

Aktuell steht die Welt im Klimaschutz da, wie die Republik in der Pandemie: Man hat es kommen sehen, aber viel zu spät gehandelt. Jetzt geht es hier wie dort nur noch darum, die Kurve irgendwie schnell abzuflachen: Flatten the curve!

Beim Klima läuft man sonst ebenfalls Gefahr eines "exponenziellen Wachstums", etwa durch sich verstärkende Effekte der Gletscherschmelze, des Permafrost-Tauens oder des Waldschwunds. Um es einmal mehr mit dem fast schon ikonischen Satz der Kanzlerin aus der Corona-Krise zu sagen: Die Lage ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst! Dem ist auch in Sachen Klimaschutz nichts hinzuzufügen. 

 

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