BUND und IG Metall zeigen Szenarien für eine Mobilitätswende 2035
Der Bund Naturschutz Deutschland (BUND) und die IG Metall haben ein Szenarien-Papier erarbeitet, wie sich der Mobilitätssektor bis 2035 entwickeln könnte unter verschiedenen Prämissen und verschieden ambitionierten Politikmaßnahmen. Als Idealvorstellung könnten sich alle Bürger*innen klimafreundlich von A nach B bewegen, jede*r könnte sich die Nutzung nachhaltiger Verkehrsmittel problemlos leisten, umweltfreundliche Fahrzeuge Made in Germany seien weltweit gefragt. Entstanden ist dieses Zukunfts-Bild in einem gemeinsamen Szenario-Prozess der Industriegewerkschaft IG Metall und des BUND.
"Eine sozial gerechte und ökologische Mobilitätswende gelingt nur gemeinsam. Dazu muss die Mobilitätsindustrie umgestaltet werden", zeigten sich die Partner überzeugt.
Die Leitfragen der Arbeit waren: Wie kann man radikal weniger Autos und mehr Elektro-Busse und Bahnen bauen, ohne dabei gute Arbeitsplätze zu gefährden? Wie schafft man es, dass die Bedürfnisse der Beschäftigten statt die Profite der Autokonzerne im Vordergrund stehen? Diese Fragen haben die ungewöhnlichen Projektpartner diskutiert und dabei Ideen für eine sozial gerechte Gestaltung der Mobilitätswende entwickelt. Gemeinsam setze man sich dafür ein, dass diese Transformation zügig Realität wird, so die Beteiligten.
"Als BUND und IG Metall stehen wir zusammen für eine sozial-ökologische Wende ein. Wir sind uns einig, dass es eine schnelle und naturverträgliche Energiewende und eine zügige Mobilitätswende mit klaren Perspektiven für die Beschäftigten braucht. Und wir teilen die Vision, dass in Zukunft alle Menschen Zugang zu attraktiver, klimafreundlicher und bezahlbarer Mobilität haben", erklären die beiden Vorsitzenden Jörg Hofmann (IG Metall) und Olaf Bandt (BUND) im Vorwort des Werks.
1. Szenario: Der Mobilitätssektor 2030 - nur teilweise innovativ, international abgehängt
Dieses Szenario ist geprägt von einer allgemeinen Trägheit und Müdigkeit nach der Corona-Krise. Nach dem Corona-Frust tritt hedonistisches Verhalten stärker nach vorne – neben zuvor beherrschende Themen wie Mobilitäts-, Klima- und Energiewende. Die Gesellschaft polarisiert sich zunehmend. Am Mobilitätsverhalten hat sich in den 2020er Jahren wenig geändert. Zudem spielen in diesem Szenario Rohstoffkrisen eine wichtige Rolle. Andere Staaten gehen in der Klima-, Mobilitäts- und Energiepolitik zügig voran, während Deutschland durchaus ambitionierte Ziele mit wenig zielführenden Formelkompromissen verfolgt und kaum Geld für Zukunftsinvestitionen in die Hand nimmt.
2. Szenario: Der Mobilitätssektor 2030 - Guter Anfang, dann alle Weichen auf Mobilität gestellt
Dieses Szenario ist dadurch charakterisiert, dass alle Randbedingungen für einen erfolgreichen Mobilitätssektor stimmen. Geopolitische Konflikte sind ausgeblieben, der Welthandel floriert und ist offen. Zudem sind rechtzeitig wichtige Weichen gestellt und massive Investitionen von öffentlicher und privater Seite getätigt worden. Das Szenario könnte unter dem Motto stehen: »Wir schaffen den Aufbruch!«. Gleichzeitig gelingen Energie-, Verkehrs-, und Klimawende noch nicht, die Klimaziele für 2030 werden verfehlt. In diesem Szenario geht es insbesondere für die Automobilindustrie bergauf (orangene Kurve), während Mobilitätsdienstleistungen, ÖPNV und Bahn stagnieren (lilane Kurve).
3. Szenario: Der Mobilitätssektor 2030 - zwischen Transformation und Konversion
Bei diesem Szenario dreht sich im Kern alles um den Rückgang der Nachfrage nach konventionellen Fahrzeugen weltweit, um den tiefgreifenden Wandel der Lebensstile und dessen Einfluss auf die Politik sowie die Rolle von Klima- und Rohstoffkri-sen als Verstärker des gesellschaftlichen Wandels. In diesem Szenario verändert sich ökologisch vieles zum Guten, doch der Mobilitätssektor geht in verschiedene Richtungen: Während die klassische Automobil- und Luftfahrtindustrie eine Konversion mit weitreichenden sozialen Einschnitten erleben (lila Kurve), schaffen Mobilitätsdienstleistungen, ÖPNV und Bahn die Transformation und entwickeln sich im Gleichtakt mit ökologischen Erleichterungen.
Die Szenarien und Ergebnisse im Überblick. | Grafik: BUND/IG Metall
Szenario 1: Zu wenig Ambition. | Grafik: BUND/IG Metall
Szenario 2: Vor allem für die Autoindustrie geht es bergauf, die Klimaziele werden aber verfehlt. | Grafik: BUND/IG Metall
Szenario 3: Ein tiefgreifender Wandel der Lebensstile. | Grafik: BUND/IG Metall
Auswertung: Das erste Szenario gilt es zu vermeiden
Das 1. Szenario »Der Mobilitätssektor 2030: Teilweise innovativ, teilweise international abgehängt« würde für BUND und IG Metall vor allem unbequeme Aspekte mit sich bringen und wenig günstige Gelegenheiten bieten. Positiv ist im 1. Szenario die Innovation im Bereich des automatisierten Fahrens hervorzuheben. Auch hat sich die Elektromobilität nominal positiv entwickelt. Gemessen an ihrem Entwicklungspotential bleibt sie jedoch hinter ihren Möglichkeiten zurück, wie die beiden anderen Szenarien zeigen. Die unbequemen Aspekte des 1. Szenarios, worauf schon der Titel hindeutet, überwiegen eindeutig
- Der Mobilitätssektor schrumpft, ist wenig innovativ und Produkte werden international weniger nachgefragt
- die Klimaschutzziele werden nicht eingehalten
- es herrscht nach der Corona-Krise eine allgemeine politische Gestaltungsmüdigkeit
- die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung zwischen Klima-Radikalen, Hedonisten und wirtschaftlich Abgehängten lähmt die gesellschaftliche Triebkraft für Transformationen, insbesondere bei jüngeren Generationen.
- Zudem gibt es einige externe Ereignisse oder Entwicklungen, die IG Metall und BUND auf dem Radar behalten sollten. Hierzu zählen die geringe Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien und vor allem die Knappheit kritischer Rohstoffe.
In der Summe wurde das 1. Szenario – welches als Erwartungsszenario konstruiert wurde – von der Gruppe als nicht wünschenswert beurteilt. Folglich würden strategische Option in Bezug auf dieses Szenario einen Fokus auf die Frage richten, wie das 1. Szenario am Entstehen ver- oder zumindest gehindert bzw. wie die unbequemen Aspekte abgeschwächt werden könnten.
Das 3. Szenario »Der Mobilitätssektor 2030: Zwischen Transformation und Konversion« gibt ein gemischtes Bild von günstigen Gelegenheiten und unbequemen Aspekten ab. Positiv hervorzuheben sind in diesem Szenario die ökologischen Erleichterungen. So werden die Klimaziele erreicht, weil sich der Bedarf an Energie und Mobilität durch einen von Suffizienz geprägten Verhaltenswandel reduziert und sich der modal split nach einer Verkehrs- und Mobilitätswende entsprechend verschoben hat. Insbesondere die Bahn und Mobilitätsdienstleister sind unter diesen Bedingungen erfolgreich und wachsen.
Schneller und tiefer Strukturwandel
Die andere Seite der Medaille wird ersichtlich, wenn man den Blick auf die anderen Bereiche des Mobilitätssektors lenkt. Denn im 3. Szenario hat ein sehr schneller und tiefer Strukturwandel stattgefunden, der die klassische Automobilindustrie vor große Herausforderungen stellt und soziale Probleme von gesellschaftlicher Tragweite mit sich bringt. Auch deshalb, weil die deutlich geringere Anzahl von Arbeitsplätzen mit Qualitätseinbußen bei den Arbeitsbedingungen einhergeht. Auch in diesem Szenario gibt es externe, sich der direkten Gestaltbarkeit oder Kontrolle entziehende Entwicklungen, die es sich aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf dem Radar zu behalten lohnt:
- Einerseits sind hier die Klimafolgen zu nennen, die große ökologische und ökonomische Schäden nach sich ziehen und zu sozialen Verwerfungen führen.
- Zum anderen sind die Lieferunterbrechungen kritischer Rohstoffe zu nennen, die politische Ursachen haben und die Entstehung der negativen Aspekte dieses Szenarios zwar nicht auslösen, aber deutlich verstärken.
Im Gegensatz zum 1. Szenario stellt sich in Anbetracht des 3. Szenarios die Frage, wie die beschriebenen ökologischen Erleichterungen erreicht und gleichzeitig einem drohenden Zusammenbruch großer Teile des Mobilitätssektors vorgebeugt werden kann.
Gelingt Ökonomische und ökologische Transformation?
Das 2. Szenario »Der Mobilitätssektor 2030: Guter Anfang, dann alle Weichen auf Mobilität gestellt« dreht diese strategische Fragestellung (an das 3. Szenario) um: Wie können neben den wirtschaftlichen gleichzeitig auch die ökologischen Transformationen gelingen? Das 2. Szenario skizziert einige günstige Entwicklungen für große Teile des Mobilitätssektors.
- So kann unter den Bedingungen des Szenarios vor allem die Automobilindustrie wachsen und Innovationen im Bereich des automatisierten Fahrens und der elektrischen Mobilität hervorbringen.
- Neben der Anzahl der Arbeitsplätze ist auch die Qualität der Arbeitsbedingungen gestiegen.
- Zudem ist positiv hervorzuheben, dass sich eine Finanzwende vollzieht, die Investitionen in nachhaltige Branchen und Unternehmen lenkt.
- Weil jedoch der Individualverkehr nach wie vor eine dominante Rolle spielt und das Mobilitätsbedürfnis sehr hoch ist, haben sich die CO2-Emissionen deutlich erhöht. Eine Energie-, Verkehrs-, und Klimawende hat noch nicht begonnen.
- Viele Nachhaltigkeitsziele werden unter diesen Bedingungen nicht erreicht und die Klimaziele für 2030 können nicht eingehalten werden.
Diese Szenarien-Landschaft bildet kein Szenario ab, in dem alle plausibel denkbaren günstigen Gelegenheiten gleichzeitig zusammenkommen, in dem also neben der Transformation des Mobilitätssektors auch die Verkehrs- und Klimawende gelingt. Das grün umrandete Rohszenario (siehe Tabelle) könnte der Ausgangspunkt für ein solches Gedankenexperiment sein. Die vorliegende Szenarien-Landschaft lässt es dennoch zu, strategische Implikationen in Richtung einer idealtypisch wünschenswerten Zukunft abzuleiten, indem die günstigen Gelegenheiten der vorliegenden Szenarien befördert und unbequeme Aspekte verhindert oder gemildert werden.
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