BMW: Interview mit Interieur-Designer Oliver Sieghart
Oliver Sieghart leitet das Interieur-Design bei BMW und sieht den BMW Vision Neue Klasse auch persönlich als Meilenstein für die Transformation bei BMW. Mit ihm wolle man selbstbewusst in die Zukunft gehen und man spüre wieder eine Zeit großer Veränderungen, die viele auch BMW-intern die Zeit der frühen 1960er-Jahre erinnert: Als sich das Unternehmen eben mit der damaligen „neuen Klasse“ als sportliche Familienlimousine neu erfand. Und den Grundstein für seinen heutigen Erfolg legte. Nach wie vor geht es bei BMW um Emotionen und nicht nur darum, um von A nach B zu fahren, weshalb das BMW-Erlebnis laut Sieghart eben „viel mehr“ sei als das vielzitierte I-Phone auf Rädern, das übrigens bis heute nicht kam.
BMW macht das Rennen um den größten Screen scheinbar nicht mit und geht mit der Neuen Klasse schon wieder einen Schritt weiter. Kannst Du das konkretisieren?
Sieghart: Ich spanne jetzt hier mal einen größeren Bogen. Unser Ziel ist es, die zukünftigen Wünsche unserer Kunden zu antizipieren und daraus eine eigenständige BMW Interpretation zu gestalten. Grundsätzlich fokussieren wir bei BMW im Interieur-Design drei Begriffe:
Erstens: Intelligent Reduction. Die Kunden werden heute ohnehin schon mit Informationen und Möglichkeiten überfrachtet, sodass wir die visuelle Informationsflut im Auto bewusst zurücknehmen ohne Funktionseinbußen. Alles ist on demand verfügbar, muss aber nicht immer und überall angezeigt werden. Womit ich beim zweiten Begriff bin: Human Centric. Bei uns steht immer der Mensch im Fokus, er ist und bleibt bei BMW der ultimate driver, den wir supporten, aber nicht bevormunden wollen. Unser Bestreben ist immer, einen begehrenswerten Wohnraum zu schaffen, wir nennen das intriguing living space.
BMW ist ja eher als Fahrmaschine bekannt?
Sieghart: Das wandelt sich gerade. Ich gebe Dir Recht: BMW war bisher eher eine Maschine im Maßanzug. Aber künftig wollen und müssen wir mehr bieten als reines aktives Fahren. Womit ich beim dritten Begriff bin: Tech-Magic. Wir wollen faszinierende Technik anbieten, aber nicht um der Technik selbst willen, sondern sie muss Kunden überraschen und dann verfügbar sein, wenn sie gebraucht wird. Und dazu muss sie sich nicht immer aufdrängen. Wir nutzen hier immer mehr Shy Tech. Das sind zum Beispiel Speaker oder perspektivisch auch Anzeigen hinter Textil. Oder die Interactionbar, die ein wertiges Tag- und Nachterscheinungsbild gibt und hinter der die Luftausströmer zurücktreten können. Damit haben wir nicht mehr diese etwas aufdringliche Lamellenoptik.
Bei der Studie der Neuen Klasse lehnte man ja schon weit aus dem Fenster. Wie nah ist die an der Serie?
Sieghart (lächelt): In der Studie BMW i Vision Dee gingen wir tatsächlich sehr weit: Wir reduzierten den Innenraum extrem und nutzten die Scheibe mit BMW Panoramic Vision, um aus dem Auto einen „Begleiter“ zu machen. Das kann man so extrem natürlich nicht umsetzen. Aber wir besinnen uns hier auf die wesentlichen Dinge, heißt bei BMW: Eyes on the road, hands on the wheel. Und indem wir das Kombiinstrument auf die Scheibe verlegt haben, haben wir plötzlich 150 statt 20 Zentimeter Breite, um Informationen anzuzeigen.
Trotzdem trauern viele Kunden den Schaltern und Tasten nach, die ergonomisch teils sinnvoller waren.
Sieghart: Ich verstehe das, aber: Die neue Welt und künftige Funktionserweiterungen gibt es, da in der Regel androidbasiert, nur noch als direct touch, das gilt vor allem für die Third Party Integrationen. Und dieses ganz große Angebot, dass der Kunde überall auf der Welt individuell etwas unterschiedlich fordert, kriegen wir auch nicht anders integriert, also mussten wir das BMW i drive neu erfinden. Und das Symbol dafür ist der neue Screen, der fahrerseitig noch näher ans Lenkrad rückte und so zu bedienen ist, ohne das Lenkrad loslassen zu müssen. Da kommt auch Branding dazu, denn Bildschirme gibt es viele, aber auf die Art können wir ihn zum Teil der Designstory machen.
Das Lenkrad ist bei BMW ja auch eine Komponente, die „gemorpht“ wurde, vor allem als Dreispeichen-Sportlenkrad?
Sieghart: Das bleibt neben Dem Panoramic Vision Display in der Frontscheibe und dem Freecut-Central-Display künftig das dritte wichtige Element und wird auch ganz neu: Lange dominierten Dreispeichen-Sportlenkräder die Fahrzeuge. Doch die haben sich in den letzten 30 Jahren seit meinen Anfängen bei BMW kaum verändert. Auch hier waren wir uns einig, Neues schaffen zu wollen. Aber nicht nur gestalterisch, sondern auch im Einklang mit verbesserter Ergonomie. Ein regelrechter „Befreiungsschlag“ ist die Verlagerung des Kombi-Instruments hinter dem Lenkrad in die Windschutzscheibe (Panaoramic Vision) Das ermöglicht ein sportlicheres Lenkrad mit neuer Speichenanordnung. Dann fährt sich das Auto noch knackiger und ich habe trotzdem einen angenehmen Raum um mich herum. Und beste Sicht auf Anzeigen und Straße.
Also räumt BMW die Interieurs alle komplett aus und hat nur noch die Windschutzscheibe, das Lenkrad und den Screen?
Sieghart: Mir persönlich widerstrebt es, jedes Interieur nach ein und demselben Rezept zu machen. Grundsätzlich ja: Wir haben das BMW Panoramic Vision, das Central Display und das Lenkrad. Und beim Erproben saßen da schon viele Entwicklerinnen und Entwickler öfter und länger drin und haben festgestellt, dass das so luftig und komplett wirkt, dass man da nichts mehr dazugeben muss. Gleichzeitig erlaubt diese Reduktion unheimliche Freiheitsgrade in der Gestaltung. Und wir können UI perfekt integrieren. Das nennen wir phygital: Indem wir den physischen Innenraum und den UI Content als Einheit sehen. Dazu muss man die Kollegen aus den unterschiedlichen Abteilungen immer wieder zusammenkriegen. Dann können wir das Innenraumerlebnis komplett orchestrieren – die User Experience ist ja die Basis von allem.
Wie steht BMW zum Thema Auto als Avatar? Auch hier hat man den Eindruck, dass die ersten Ideen eher nerven als nutzen.
Sieghart: Avatare als digitale Begleiter gehören auch für uns dazu, doch hier muss das ganze Fahrzeug als Einheit gesehen werden. Wir wollen hier nicht irgendein Männchen oder Tier im Schaukasten – unserer Meinung nach soll man mit dem Produkt an sich seamless im Dialog sein. Oder anders ausgedrückt: Wenn man ein digitales Erlebnis in einen physischen Raum bringt und das erweitert, auch um ein Sound- oder Duft- oder sonstiges Raumerlebnis, kann man alle Sinne ansprechen.
Ein hehres Ziel – ist das nicht arg hochgegriffen?
Sieghart (lacht): Man braucht doch hohe Ziele! Doch das höchste Ziel ist für uns immer, über einen positiven Diskurs das beste Ergebnis für die Kundinnen und Kunden zu erzielen.
Das Interview führte Gregor Soller. Er kennt Sieghart seit 1993 als beide begannen, Industrie-Design zu studieren. Während Soller sein gestalterisches Tun nach drei Jahren als Industriedesigner auf den Journalismus verlegte, blieb Sieghart der Gestaltung von Produkten treu.
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