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Meinungsbeitrag

Auto-Posen und Monster-Sturm: Was macht der Erdling in Erding?

Klimakrise und Fossil-Irrsinn zeitlich vereint: Unser Redakteur radelte durch ein Wechselbad der Gefühle. Von der Auto-Posern in Erding mit ihren fetten Schlitten mitten  ins Gewitter, das wie aus dem Nichts kam. Erdling in Erding, welche Botschaften braucht es denn noch? Völlig subjektiver Bericht aus der "Brabbel-Bubble".

Wie von der Axt gefällt: Ein Sturm brachte diese Kastanie zum Erliegen, die sicher schon viel gesehen und überstanden hat, in ihrem Baumleben. | Foto: J. Reichel
Wie von der Axt gefällt: Ein Sturm brachte diese Kastanie zum Erliegen, die sicher schon viel gesehen und überstanden hat, in ihrem Baumleben. | Foto: J. Reichel
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Johannes Reichel

Was für Kontraste: Eben noch das Gewitter aus dem Auspuff aufgemotzter, aber auch standardmäßiger Sportkarossen mit Stern, Propeller und Ringen im Kühler, jetzt das Gewitter aus dem Himmel. Und wie: Fast zieht es den wetter- und witterungsresistenten Autor aus dem Sattel seines Fahrrad, so heftig und plötzlich schlägt der Sturm zu, der auch vor der bayerischen Landeshauptsstadt München nicht halt machte. Armdicke Äste knacken unheilvoll und brechen wie Streichhölzer von den stämmigen Bäumen am Isarradweg. Im Handumdrehen ist die beliebte Radtrasse verwüstet und kaum mehr passierbar. Eine armspannendicke Kastanie am Radweg, reißt ein Stück Teer mit sich und fällt diagonal auf das Asphaltband, liegt am nächsten Tag da, wie ein gestrandeter Wal. Was so beängstigt, ist zum einen die Heftigkeit, zum anderen die Plötzlichkeit, mit der das Unwetter losbrach. Wenige Minuten später legen sich die Böen - und die kurz mal wirklich "apokalyptische Atmosphäre" ging in ein "normales" Sommergewitter über, das leider viel zu wenig Regen mit sich brachte. Wie auch immer.

Eine gute Stunde zuvor die Szene in einer beliebten Pizzeria in der Langen Zeile im eigentlich recht idyllischen und historischen Stadtzentrum von Erding. Der Stadtname passt in diesem Falle bestens: Denn hier wird man mal wieder geerdert, dass die Klimakrise in manchen Kreisen und Köpfen so überhaupt nicht anzukommen scheint. Im Gegenteil. Man muss ja aufpassen, nicht in seiner "Bubble" aus wissenschafts- und faktenbasierter Nüchternheit zu verharren.

Das hier ist eine andere Bubble, eher eine "Brabbel-Bubble": Reihenweise kreisen die tiefergelegten und hochmotorisierten Sportkarossen um das Karree, passieren ein um's andere Mal den natürlich mit dem Rad angereisten Autor und versorgen ihn neben Olio di Olive mit Olio di Petrolio zur Pizza. Spontaner, natürlich abwegiger Gedanke: Warum ist diese hübsche Altstadt eigentlich nicht längst für den Autoverkehr gesperrt? Es wird Gründe geben.

Vielleicht auch Widerstände derer, die hier - es sind wirklich ausschließlich Männer, zumeist jüngere in wirklich ausschließlich BMW, Mercedes und Audi - ihr bollerndes Unwesen treiben und gleichsam eine (sicher nicht letzte) fossile Feierabendparty feiern, die wiederum um gar nicht mal so viele Ecken zur Erderwärmung und schließlich zum Unwetter beiträgt, das den Autor wenig später ereilen wird. Oder besser gesagt, zu dem Unwetter, dass dann in 20 Jahren vielleicht noch heftiger ausfällt. Denn klar, das Klima ist ein äußerst träges System - und was man heute als "(Un)Wetter" serviert bekommt, sind die CO2-Emissionen von vor Jahrzehnten.

Umso wichtiger wäre es, damit sofort aufzuhören, wie der hochgeschätze Spiegel-Kolumnist und unverbesserliche "Rationalist" Christian Stöcker mal ausdrückte, "ständig fossiles Zeug zu verbrennen", ob in Heizungen, Kraftwerken oder Automobilen. Aber so wie es sich in Erding darstellt, ist damit jetzt nicht unmittelbar zu rechnen. Und solange das im wahrsten Sinne "fossile Gekreise" nicht "sozial geächtet" respektive einfach verboten wird, erst recht nicht.

Wie, ist schon verboten?! Die jeweiligen Übertretungen werden in Deutschland seit dem 28. April 2020 mit einem Bußgeld von bis zu 100 Euro geahndet, heißt es auf Wikipedia zum Thema "Autoposing". Nur, was helfen Gesetze, wenn der automobil gerade in Bayern sehr kulante Gesetzteshüter sie nicht wirklich hütet - und das Gepose so duldet wie in Erding. 

Überhaupt: Verbote! Böses V-Wort. Man hört jetzt schon wieder den Aufschrei im "Freie Fahrt für freie Bürger"-Schland. Aber: Die Verkehrsregeln beachtet und akzeptiert jeder, (meist) sogar die Hobby-Rennfahrer aus der langen Zeile. Dementsprechend bräuchten dringend Verkehrsregeln im Umgang mit dem Planeten. Das hat nichts mit Verbotskultur und "Öko-Faschismus" oder gar "Freiheitsbeschränkung" (was ist eigentlich mit meiner Freiheit, ohne Benzinodeur in der Nase eine Pizza zu essen?!) zu tun, wie aus rechten und gar nicht mal so rechten, sondern eher mittigen Kreisen dann reflexhaft verlautbart wird. Sondern, siehe oben, mit wissenschafts- und vernunftbasiertem Handeln - oder mittlerweile leider blanker Notwendigkeit.

Wie meinte neulich die sehr kluge Klimawissenschaftlerin und Ozeanologin Helene Hewitt im Interview, als sie anlässlich des sechsten (!) Weltklimaberichts auf die erste Ausgabe von 1990 verwies: "Der einzige Weg, wie wir die Veränderungen im Klimasystem verlangsamen und begrenzen können, ist die schnelle Reduktion der Treibhausgase. Das wissen wir eigentlich schon sehr lange. Es ist wirklich traurig zu erkennen, wie viel einfacher es gewesen wäre, den Klimawandel zu bremsen, wenn man schon damals gehandelt hätte".

Mit dieser Erkenntnis zurück nach Erding: Fünf, sechs, sieben Mal kann man ein und dasselbe Fahrzeug und dessen lässig dahincruisenden Fahrer im Laufe eines Abends beobachten. Fast entsteht eine persönliche Beziehung. Soziologisch ist das hochspannend, akustisch leider unterirdisch. Dabei sind das noch nicht mal Sondermodelle, sondern die margenstarken und höchst beliebten "Serienmodelle" der einschlägigen Sportabteilungen der deutschen Premiummarken. Unter vier Auspuffrohren geht hier gar nix.

Doch einer schießt den Vogel ab: Einem klotzig-krötigen Audi RS Q8 (5,10 Meter Länge, zwei Meter Breite, 600 PS, 800 Nm, puh!), der lässig in einen der immer noch viel zu vielen, zudem gefährlich quer angelegten Parkplätze manövriert, entspringt ein juveniler und drahtiger, sicher nicht unsportlicher Rentnertyp. Der offenbar ortsbekannt ist und freundlich - sich gleichsam der Aufmerksamkeit versichernd - in alle Richtungen grüßt und zur Sicherheit mit dem orange winkenden Warnblinker noch diskrete Leuchtsignale sendet. Um sich sodann eine Kugel Zitroneneis in der Waffel zu beschaffen und dann ebenso schnell wieder vom Platz zu verschwinden, wie er gekommen war.

Ein paar Gramm Eis und geschätzt 70 Kilo "Zwetschgenmanderl" (wie Gerhard Polt sagen würde), mit dem 2,5-Tonner befördern. Im Jahr 2023?! Echt jetzt?! Haben die Menschen einen an der Waffel? Wie gesagt, Erding, proper und reich geworden durch den noch immer boomenden und auf sehr sehr vielen fossilen Ressourcen basierenden Rekordflughafen im mittlerweile ziemlich trockenen "Moos" trägt den Namen nicht ganz zu unrecht. Geerdet wird man hier wahrlich, über die Sitten und Gebräuche des "homo sapiens" im Anno 23 nach der Jahrtausendwende. Mancher Erdling ist vom Auto-Posen in Erding jedenfalls schwer angetan. Ob die Erde davon so begeistert ist, sei mal dahingestellt. Die schickt keine Rechnung - aber irgendwann die Quittung. Einen Vorgeschmack darauf bekam der radelnde Redakteur im Sekunden-Sturm von Sendling.

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