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ATF 2019 - Teil 3: Provokante erste Halbzeit

Dr. Marc Thom, bei Sony Venture Capital Senior Investment Manager, und ein Diskussionsforum setzen scharfe Akzente.

Jeder Diskussionsteilnehmer brachte eine provokante These mit, die dann im Plenum diskutiert wurde. | Foto: G. Soller
Jeder Diskussionsteilnehmer brachte eine provokante These mit, die dann im Plenum diskutiert wurde. | Foto: G. Soller
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Gregor Soller

Die erste Halbzeit des ATF-Forums ging so spannend zu Ende wie sie startete: Dr. Marc Thom, der so quirlig formuliert wie ihm die Frisur zu Berge steht, sorgte für kurzweilige Einsichten im Handel. Und erklärte dem Automotive-Publikum, dass er persönlich Autos eigentlich nicht so gut fände. Und empfahl gleich mal, die Komfortzone zu verlassen. Was zwar in der Regel niemand wolle, doch dafür brächte einen nur das wirklich weiter. Diese Erfahrung musste sein Arbeitgeber Sony schon in den 2010er-Jahren machen. Nach tragbarem Fernseher, Walkman und Spielkonsolen kam dann nicht mehr so viel und die Japaner mussten sich einmal neu erfinden, was gelang: Thom verortet Sony heute als eines der „diversivsten“ Unternehmen der Welt mit extrem vielen Zweigen, darunter auch dem Entertainment, dass viele Online-Giganten von Sony „zukaufen“. Entertainment ist überhaupt das Stichwort Thoms, der gerade erst auf Betriebstemperatur kommt und die nächste Grafik vorlegt: Wie lange dauerte es wohl, 50 Millionen User zu erreichen: Dem Telefon gelang das nach 75 Jahren, Pokemon Go schaffte es in 19 Tagen! Und „Chewbakkas Mum“, die allenfalls virtuell existiert brauchte dafür 24 Stunden!

„Eine gar nicht existierende Affenmutter aus dem Weltall hat binnen 24 Stunden 50 Millionen Follower – was macht sie besser als wir?“

fragt Thom provokant. Und warnt, das Netz keinesfalls zu unterschätzen, zumal die Megatrends weiter anhalten, von denen er vor allem das Bevölkerungswachstum und das steigende Alter herauspickt. Beides Themen, die über digitale Lösungen massiv optimiert werden können.

Dann holt Thom zur Erklärung der Internet-Ökonomie aus, die ein komplexes System benötigt: Auf das Smartphone muss man ein Betriebssystem aufsetzen, darauf einen Internetzugang, einen Browser und auf den werden dann von Amazon oder Influencern dann ihre Produktoptionen aufgespielt, erst dann kommt es in der Regel zur Kaufentscheidung und zum Kauf. Und dann muss noch geliefert werden, weshalb Google und Facebook das Internet gern umsonst anbieten wollen, um die ganze Wertschöpfungskette im Griff zu haben: Je mehr Spieler mitspielen, desto mehr wollen ein Stück vom Kuchen abbekommen. Die Moral von der Geschichte: Schafft integrierte Geschäftsmodelle!

So wie es auch Elon Musk tut – nicht mit Tesla, sondern mit Space X: Wo teilstaatliche Betreibe mit Müh und Not einige zig oder 100 Raketen mit Satelliten ins All schießen, plant Musks Space X 4425 Raketen ins All zu schießen. Womit Musk sich in der Kette der Kommunikation ganz vorn an die Spitze setzt. Ähnliche Modelle ersinnt Thom für Roboter, die anfangs noch Geld kosten, eines Tages aber umsonst sein könnten, da man dann für ihre Services bezahlen wird. Die Krux an dem Ganzen: Europa spielt in all diesen digitalen Geschäftsmodellen praktisch keine Rolle mehr und hat immer noch eine extrem produktionsintensive Industrie.

Darauf folgte eine Podiumsdiskussion, was der Automobilhandel aus anderen Branchen lernen kann, an der auch Thom teilnimmt. Mit im Podium saßen Markus Kröger, CEO von „Heycar“, Christoph Stadeler, Leiter des Bereiches Automotive Strategie bei Facebook und Craig Davis, Geschäftsführer der Clean Green Fast GmbH und früher bei Tesla und Mini. Auch hier herrscht Einigkeit, dass sich die Geschäftsmodelle geändert haben. Kröger fordert ein Ende des „Silodenkens“, während sich Davis wundert, dass der Handel erst jetzt reagiert und Mini-Kunden am liebsten schon 2002 gern online bestellt hätten, statt zum Mini- oder gar BMW-Händler zu müssen. Ein weiteres Problem sei laut Thom das Hardware-Margen-Modell, mit dem derzeit vor allem die Media-Markt-Saturn-Gruppe kämpft: Hier werden große Mengen eingekauft und gelagert, doch die Kalkulation des Abverkaufes wird immer schwieriger. Dazu fordert Kröger auch eine viele stärkere Vernetzung mit dem Internet, denn 70% aller Kunden starten ihre Customer-Journey heute dort. Trotzdem brauche es bei so teuren und eher selten gekauften Produkten wie Fahrzeugen, vor allem bei Gebrauchten, am Ende ein Gesicht, das für das Angebot geradestehe. Thom warnt außerdem, dass so zu wenige Betriebssysteme zu viel macht hätten – auch hier brauche es einen Markt mit Auswahl. Als Moderator Dr. Armand Farsi, Leiter globale Digital Commerce Beratungseinheit bei Arvato, nach den dringendsten Wünschen fragt, erhält er spannende Antworten: Kröger fragt, was Entstehen muss, um die Zusammenarbeit des Handels zu fördern. Thom findet den Impuls richtig, dass Handel und OEMs zusammenarbeiten und Stadler findet, dass man schon weit genug sei, um für Kooperationen offen zu sein. Und Davis fordert, durch solche Kooperationen aus den vielen Steh- wieder Fahrzeuge zu machen, die mehr rollen als parken.

Das Vormittagsprogramm schloss einmal mehr eine Business-Meditation mit Marc Zimmer ab, Leiter Group Service Aftersales im VW-Konzern. Womit er die aufgeladene Stimmung einmal mehr sanft entlud, bevor in der Pause wieder weiter diskutiert wurde.

Was bedeutet das? 

2019 ist es offensichtlicher denn je: Auch der Handel befindet sich im Wandel und manch einer wundert sich, warum hier nicht schon längst viel mehr kooperiert und digitalisiert wurde.

 

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