Ampel-Koalition: Der Fortschritts-Wagen stottert schon beim Start
Manchmal stehen die spannendsten Dinge zwischen den Zeilen - und es sind viele Zeilen auf 177 Seiten des vorläufigen Koalitionsvertrags: Man werde "Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Der trägt in Anlehnung an Willy Brandts Maxime "Mehr Demokratie wagen" den großen Titel trägt "Mehr Fortschritt wagen" - und soll ein echter "Fortschritts-Wagen" werden, der von der Stand- auf die Überholspur wechselt, um im Bilde zu bleiben.
Nur: Wenn man zwischen den Zeilen liest und den StVO-Code für die "Maxime der autogerechten Stadt", der da lautet "Flüssigkeit des Autoverkehrs" im Hinterkopf hat, beschleicht einen das mulmige Gefühl, dass die Koalitionäre nicht unbedingt die "Flüssigkeit des Rad- und Fußverkehrs" im Sinn haben.
Und außerdem heißt es: NEBEN der Flüssigkeit, ja klar, auch "Umwelt und Gedöns". Überhaupt: Man hätte ja auch schreiben können - die Straßenverkehrsordnung komplett neu fassen und zu einem Mobilitätsgesetz umgestalten. "Anpassen" klingt nicht gerade nach "neufassen".
Am vielsagendsten ist aber vielleicht, dass das Signalwort "Verkehrswende" so gut wie gar nicht vorkommt, im ganzen Vertrag nicht und auf dem langen Abschnitt zur Mobilität nicht. Aber war das nicht das Ziel?! "Die Verkehrtwende" und "Jubel auf der linken Spur" oder "Mehr Volkswagen statt Fortschritt wagen", ätzte promt der Spiegel.
Lieblos abgehakt: Rad- und Fußverkehr
Generell wirkt der Abschnitt zu den umweltfreundlichsten aller Verkehrsmittel, dem Rad- und Fußverkehr geradezu lieblos abgehakt, als habe man das halt auch noch unterbringen müssen: Radverkehrplan fortschreiben, Fußverkehrsplan mit "nationaler Strategie" unterlegen, fertig. Keine Rede von den riesigen Potenzialen der elektrischen Mikro- und Leichtmobilität und der im Wahlkampf so heftig debattierten Lastenräder.
Wie ausführlich ist dagegen das Thema Automobilität aufgedröselt: Nicht nur, dass es die FDP geschafft hat, ihren Dauerbrenner Synfuels wieder unterzubringen, mit denen sich selbstredend jeder moderne Verbrenner betanken lässt, sogar ohne "Nachweis".
Und was soll die verräterische Hilfsbremser-Formel, man wolle sich für eine "ambitionierten und umsetzbare Schadstoffnorm EURO 7" einsetzen, bei der "Wertschöpfung und Arbeitsplätze berücksichtigt" würden?
Es wird auch haarklein aufgelistet, wie man die Elektromobilität fördern, die Ladeinfrastruktur ausbauen, Automobilregionen unter die Arme greifen, die Transformation stützen und in einem Hopps mit 15 Millionen E-Fahrzeugen bis 2030 Leitmarkt für E-Mobilität, Zentrum für Halbleiter und Batteriezellfertigung werden will. Vor allem letzteres beides wirkt aktuell etwas vermessen, Korea, China, Japan, USA sind hier auch nicht "auf der Lithiumsuppe dahergeschwommen".
Ziemlich starke Fahr- und Flugzeugfixierung
Aber das ist nicht der Punkt: Der Koalitionsvertrag lässt eine ziemlich starke "Autofixierung" erkennen, die eigentlich nicht nach dem Geschmack der Grünen sein kann. By the way: Was ist eigentlich mit der Förderung der auch in Arbeitsplätzen alles andere als unbedeutenden Fahrradindustrie, eine Schlüsselbranche der Zukunft?
Wo ist die Vision von einer anderen Mobilität weg vom Automobil, vom motorisierten Individualverkehr hin zum Umweltverbund mit 365-Euro-Ticket für die Öffis? Von der "suffizienten" Mobililtät, die von "Klein nach Groß" denkt? Von den lebenswerteren Städten, die es zu schaffen gilt. Überhaupt von der Wende zu einem nachhaltigeren Lebens- und Mobilitätsstil mit geringerem Energieverbrauch und CO2-Fußabdruck. Die E-Mobilität in allen Ehren, aber das Platzproblem in den Städten löst man mit 15 Millionen Elektroautos sicher nicht? Und wenn dann fehlt der Zusatz "möglichst geteilten E-Fahrzeugen". Der Koalitionsvertrag klingt verdächtig nach: Dasselbe in Grün.
Klar, der ÖPNV kommt schon vor, flankiert von Förderverlängerung und ein bisschen "digitale Mobilitätsdienste". Aber es wirkt im Gegensatz zur automobilen Entschlossenheit des Vertrags doch zaghaft und dünn, wenn man "Länder und Kommunen in die Lage versetzen (will), Attraktivität und Kapazitäten des ÖPNV zu verbessern und die Fahrgastzahlen "deutlich zu steigern". Nicht nach: "Zu einem Rückgrat der Stadt- und Umland-Mobilität machen", wie es viele Fachleute fordern.
Immerhin: Ein Lichtblick ist die Aussage, man wolle "erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren, um prioritär Projekte eines Deutschlandtaktes umzusetzen". Scheint den Grünen wirklich wichtig gewesen zu sein, an der Stelle.
Fliegen fast wie bisher - nur halt in "grün"?
Die Portionierungsfrage stellt sich auch, wenn man den Abschnitt Luftverkehr dagegen hält, wo der Text geradezu ins Schwärmen gerät. Keine Rede mehr von Inlandsflugverboten, wie sie in Frankreich eingeführt wurden oder von einer Kerosinsteuer, deren Regelung man auf die EU abschiebt. Dagegen grüner Rückzug auf der ganzen Linie, wenn die mutmaßlichen FDP-Texter des Kapitals schwärmen dürfen:
"Deutschland soll Vorreiter beim CO2-neutralen Fliegen werden. Wir wollen die deutsche Luftverkehrswirtschaft und -industrie als Schlüsselbranchen nachhaltig und leistungsfähig weiterentwickeln", heißt es.
Wie bitte? Wollten wir nicht weniger fliegen, weil das Flugzeug einfach die mit Abstand mieseste Umweltbilanz aller Verkehrsmittel hat und das mit dem "grünen Fliegen" ein ziemlicher Langstreckentrip ist und erstmal zu beweisen wäre? Ah, hier kommt die Beruhigungspille, denn man will ja auch: "Durch bessere Bahnverbindungen die Anzahl von Kurzstreckenflügen verringern". Na, dann.
Und der Hauch der Technologieoffenheit, der das ganze Papier durchweht, kommt auch beim Thema Wasserstoff auf: Man wolle den "Einsatz von Wasserstoff nicht auf bestimmte Anwendungsfelder begrenzen". Ja, klar, "grüner Wasserstoff sollte vorrangig in den Wirtschaftssektoren genutzt werden, in denen es nicht möglich ist, Verfahren und Prozesse durch eine direkte Elektrifizierung auf Treibhausgasneutralität umzustellen". Aber die Verwendung in Pkw halten wir uns mal offen.
Aber wie die ganzen Technologie-Leuchtürme bis hin zum Elektrolyse-Boom bezahlt werden sollen, ist auch unklar: Steuererhöhungen wollte die FDP partout nicht und soll es auch nicht geben. Und der direktesten Finanzierung über die Streichung der fossilen Subventionen, die allseits gefordert, aber nirgends im Vertrag explizit abgebaut werden, hat man eine Absage erteilt.
Und wohl nicht recht bedacht, dass der nächste und beste "Booster" für die E-Mobilität der Abbau der Förderung für die Fossilen wäre.
Eine City-Maut wäre auch noch eine Einnahmequelle. Findet sich aber nicht. Parkraumbewirtschaftung mit höheren Gebühren? Kommt nur so am Rande als "digitale Parkraumkontrolle" vor, um den Parkraum besser zu erschließen. Und den verursachergerechten CO2-Preis als zentrales Element und Einnahmequelle wollte die SPD wohl nicht so dezidiert drin stehen haben.
Woher nehmen? Ach, ja die Lkw-Maut!
Stattdessen sollen mal wieder die "Lastesel der Nation" ran. Klar, bei den Truckies ist der Protest vermeintlich am geringsten und wer wettert schon groß gegen eine Lkw-Maut ab 3,5 Tonnen. Ob die paar Euro aber genügen werden, die ganzen hochfliegenden Technologiepläne der Ampel umzusetzen, darf stark bezweifelt werden. Legt man den Koalitionsvertrag als Pause über den akkurat ausgearbeiteten UBA-Plan "Acht Bausteine für die Verkehrswende" kommt es allenfalls zu einer Teilschnittmenge. Die "Verkehrsfachleute vom Dienst" werden sich grämen, wie wenig von ihren Vorschlägen zu den Verhandlern nach Berlin drang.
Dass die Grünen dann noch nicht einmal das Verkehrsministerium für sich erobern konnten, obwohl man mit Cem Özdemir einen weithin anerkannten Verkehrs- und Allgemeinpolitiker in den Reihen gehabt hätte, ist für die Anhänger sicher eine so herbe Klatsche wie die auch noch wie die geradezu "triumphierend" wiederholte brüske Ablehnung eines "generellen Tempolimits". Von anderen Tempolimits wie "30 innerorts", unter Fachleuten als der "game changer" eingeschätzt, ganz abgesehen.
Die Gefahr besteht durchaus, dass der unselige Dualismus divergierender Standpunkte der Ministerien Verkehr (FDP) und (um das Thema Klima ausgehöhltem) Umwelt respektive Habecks "Super-Klimaministerium", das wenigstens in Sachen Öko-Energien für Schub sorgen könnte, oft für ein verkehrspolitisches Patt sorgt, sodass wieder nichts vorangeht.
Wie das Spiel zwischen Gelb und Grün ausging: Zwischen Technologiepolitik und Ordnungspolitik? Klarer Sieg für die Liberalen, muss man wohl sagen. Ob es ein Sieg für den Klimaschutz ist, wird sich noch herausstellen. Und ob es reicht, den Verkehrssektor bis 2045 zu dekarbonisieren, ist auch fraglich. Bleibt zu hoffen, dass die Partei des Slogans "Erfinden statt verbieten" sich erst mal selbst neu erfindet, und dann die Mobilität in Deutschland - und damit alle überrascht.
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