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Agora/DLR-Studie: Abhängigkeit vom Auto verringern - sozialen Ausgleich schaffen

Ein Diskussionspapier gibt Überblick über Mobilitätsarmut in Deutschland. Die starke Ausrichtung auf Auto berge große soziale Risiken. Aber: Für differenzierte politische Maßnahmen braucht es bessere Daten.

Autofixierung beklagt der Thinktank Agora - und dass 27 Millionen Menschen in Deutschland keinen Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel haben. | Foto. ADAC
Autofixierung beklagt der Thinktank Agora - und dass 27 Millionen Menschen in Deutschland keinen Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel haben. | Foto. ADAC
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Johannes Reichel

Die Bekämpfung der Mobilitätsarmut in Deutschland lässt sich sowohl soziale Teilhabe als auch Klimaschutz vereinbaren. Das ist die Kernerkenntnis eines Diskussionspapiers des Berliner Thinktanks Agora Verkehrswende, aufbauend auf einem Hintergrundbericht des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Politische Maßnahmen müssten vor allem darauf abzielen, die Abhängigkeit vom Auto zu verringern, einkommensarme Haushalte zu entlasten sowie Wege einfacher und kürzer zu gestalten oder überflüssig zu machen, appellieren die Autoren. Neben der Diskussion über politische Maßnahmen gehe es gleichzeitig darum, die Datenlage zu verbessern und Mobilitätsarmut in Deutschland besser zu verstehen.

„Deutschland steht erst am Anfang, sich ernsthaft mit Mobilitätsarmut zu beschäftigen. Das Thema ist auch in Deutschland relevant und wird noch relevanter werden, wenn die Preise für fossile Kraftstoffe zunehmend die Kosten für Klimaschäden enthalten", erklärt Wiebke Zimmer, stellvertretende Direktorin von Agora Verkehrswende.

Deutschlands starke Ausrichtung auf das Auto berge ihrer Ansicht nach große soziale Risiken. Sie moniert, die "Subventionen nach dem Gießkannenprinzip wie Tankrabatte" erreichten nur zu einem kleinen Teil diejenigen, die es tatsächlich brauchen.

"Von Pendlerpauschale und Dienstwagenbesteuerung profitieren zurzeit vor allem Menschen mit hohen Einkommen. Umso wichtiger ist es, Mobilitätsarmut anzugehen und Maßnahmen zu entwickeln, die der sozialen Teilhabe und dem Klimaschutz zugleich dienen, kritisiert Zimmer weiter. 

Dimensionen: Erschwinglichkeit, Erreichbarkeit, Verfügbarkeit und Zeitarmut

Das Diskussionspapier erklärt den Begriff Mobilitätsarmut, analysiert anhand empirischer Daten, wie die verschiedenen Dimensionen von Mobilitätsarmut in Deutschland ausgeprägt sind, beschreibt die politischen Handlungsfelder und skizziert beispielhafte Maßnahmen. Der Begriff Mobilitätsarmut macht deutlich, dass Mobilität eine Voraussetzung für soziale Teilhabe ist. Einschränkungen in der Mobilität bedeuten deshalb auch Einschränkungen in der sozialen Teilhabe. Betroffen sind Menschen vor allem dann, wenn sie sich Mobilität nicht leisten können (Erschwinglichkeit), Orte des täglichen Bedarfs nicht gut erreichen (Erreichbarkeit), keinen Anschluss an Mobilitätsangebote haben (Verfügbarkeit) oder wenn Mobilität viel Zeit und Organisation erfordert (Zeitarmut).

Schlechter Anschluss an ÖPNV: 27 Millionen Menschen

Strukturell hätten viele Faktoren Einfluss darauf, wie gut Menschen mobil sein können, so die Autoren. Einen großen Unterschied macht nach Einschätzung von Agora Verkehrswende das Angebot an Bus- und Bahnverbindungen. Rund 27 Millionen Menschen in Deutschland haben keinen oder nur einen sehr schlechten Anschluss an den öffentlichen Verkehr. Hinzu kommen Einschränkungen, wenn es an barrierefreien Zugängen oder vergünstigten Tarifen fehlt. Als Alternative bleibe dann oft nur der eigene Pkw. Doch auch wer ein Auto hat, könne nicht immer wie gewünscht mobil sein. Vor allem einkommensarme Haushalte mit erwerbstätigen Personen müssten eher an anderer Stelle sparen, wenn sie für den Arbeitsweg auf das Auto angewiesen sind.

„Eine besondere Risikogruppe sind deshalb Menschen, die häufig Auto fahren müssen, ein geringes Einkommen haben und kaum auf andere Verkehrsmittel umsteigen können“, betont Benjamin Fischer, Projektleiter Verkehrsökonomie bei Agora Verkehrswende. Ihnen werde es besonders schwerfallen, mit den absehbar steigenden Spritpreisen umzugehen.

Gefährdete Gruppe: Abseits der Städte

Gefährdet seien tendenziell auch eher Menschen in dünn besiedelten Regionen abseits der Städte, aber nicht automatisch. So gebe es zum Teil große Unterschiede zwischen benachbarten und in mancher Hinsicht ähnlich strukturierten Bundesländern: In Baden-Württemberg seien die Menschen zum Beispiel besser gegen steigende Spritpreise abgesichert als in Bayern; und in Sachsen besser als in Thüringen. Vorsorgen lasse sich gegen Mobilitätsarmut am besten durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs sowie durch Infrastrukturen und Arbeitsmodelle, die nicht die Nutzung eines Autos voraussetzen.

„Termindruck und Koordinationsaufwand können Mobilität zusätzlich erschweren“, meint Janna Aljets, Projektleiterin Städtische Mobilität bei Agora Verkehrswende.

Frauen seien davon stärker betroffen. Während Männer eher längere Wege am Stück zurücklegten, etwa zur Arbeit, für Freizeit oder Einkäufe und Erledigungen, sei die Mobilität von Frauen geprägt durch kürzere, aufeinanderfolgende Wege, häufig mit Kindern, Gepäck oder Einkäufen. Das hänge unter anderem damit zusammen, dass Frauen mehr Sorge- und Haushaltsarbeit leisten als Männer. Ihre komplexeren und kleinteiligeren Wegeketten seien mit mehr Termindruck und Koordinationsaufwand verbunden. Bisher würden solche Geschlechterunterschiede in der Forschung zu wenig berücksichtigt.

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