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Agora-Studie Pendelverkehr: Alternativen zum Auto statt Tankrabatten

Nicht kurzfristig entlasten, sondern langfristig Alternativen schaffen - eine Studie zeigt Wege aus Spritpreisfalle und Ölabhängigkeit im Berufsverkehr. Klar ist: Die Wirksamkeit kommunaler Maßnahmen hängt vom Reformwillen der Regierung ab. Stärkung von Bus, Bahn und Fahrrad allein wird nicht reichen.

Der ganz normale Pendel-Wahnsinn: Seit 1976 haben sich die Pendeldistanzen verdoppelt. Vor allem für die Städte wie München stellt das eine Herausforderung dar. | Foto: J. Reichel
Der ganz normale Pendel-Wahnsinn: Seit 1976 haben sich die Pendeldistanzen verdoppelt. Vor allem für die Städte wie München stellt das eine Herausforderung dar. | Foto: J. Reichel
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Johannes Reichel

Der Berliner Thinktank Agora Verkehrswende sieht in der anhaltenden Debatte über steigende Spritpreise und Neuordnung der Entfernungspauschale eine Chance, den Pendelverkehr in Deutschland insgesamt neu auszurichten und aus der Abhängigkeit vom Erdöl herauszuführen. Wie eine neue Studie der Denkfabrik aufzeigen soll, müsste zunächst die Bundesregierung mit mehreren Maßnahmen die Rahmenbedingungen neu setzen. Das reiche von einem Recht auf Homeoffice bis zur besseren Planung und Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Auf dieser Grundlage könnten Kommunen den Pendelverkehr fairer und klimagerechter gestalten, wenn ihnen der Bund dafür die rechtlichen Freiräume gewährt. Wichtig sei es dabei, nicht nur die Alternativen zum Pkw zu stärken, sondern auch überholte Privilegien des Autoverkehrs abzubauen.

Mobilitätsgeld geht in richtige Richtung

Die Bundesregierung hat bereits Ende Februar in einem ersten Entlastungspaket eine Neuordnung der Entfernungspauschale noch in dieser Legislaturperiode beschlossen, mit der die ökologischen und sozialen Belange der Mobilität besser berücksichtigt werden sollen. Der unter den Regierungsparteien diskutierte Grundgedanke, ein Mobilitätsgeld einzuführen, geht aus Sicht von Agora Verkehrswende in die richtige Richtung, weil davon vor allem Haushalte mit niedrigerem Einkommen profitieren.

Für Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende, kann die Neuordnung der sogenannten Pendlerpauschale aber nur ein erster Schritt sein.

"Pendlerinnen und Pendler brauchen von der Politik nicht immer neue finanzielle Entlastungen, sondern einen Plan, wie sie zukünftig klimafreundlich zur Arbeit kommen können. Über Jahrzehnte hat die Politik Anreize gesetzt, immer längere Arbeitswege in Kauf zu nehmen und diese vorrangig allein mit dem privaten Pkw zurückzulegen", meint Hochfeld.

Die aktuelle Krise zeige, dass dies nicht nur der Gesellschaft hohe ökologische Kosten aufbürde, sondern auch sicherheitspolitische Risiken mit sich bringe und die Menschen in die Ölpreisfalle treibt. Deshalb sollte die Bundesregierung die Neuordnung der Pendlerpauschale als Einstieg in eine umfassende Reform des Pendelverkehrs nutzen, fodert der Agora-Chef.

Von Homeoffice bis Infrastruktur: sechs Maßnahmen

Die Studie, die das ILS - Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung im Auftrag von Agora Verkehrswende erstellt hat, gibt einen Überblick darüber, wie Bund und Kommunen den Pendelverkehr in Deutschland neu gestalten können. Für die Bundespolitik hebt die Studie sechs Maßnahmen hervor:

  • die Neuausrichtung des Straßenverkehrsrechts an Zielen wie Sicherheit und Klimaschutz, so dass Kommunen zum Beispiel leichter Tempo 30 anordnen und Parkgebühren erheben können;
  • die Einführung einer verursachergerechten Straßennutzungsgebühr, um den Erhalt der Straßen neu abzusichern und klimaneutrale Mobilität zu finanzieren;
  • die stärkere Einbindung der Arbeitgeber bei der nachhaltigen Gestaltung des Berufsverkehrs, zum Beispiel durch ein Recht auf Homeoffice;
  • die Verlagerung der Kfz-Steuer auf den Moment der Erstzulassung, verbunden mit einer konsequenten Differenzierung nach CO2-Emissionen, um stärkere Anreize zum Kauf emissionsarmer Fahrzeugen zu geben;
  • ein klares Signal für den Ausstieg aus Verbrennerfahrzeugen bis 2035, vor allem durch deutlich schärfere CO2-Flottengrenzwerte ab 2025;
  • die Förderung der Forschung für umweltverträglichen Pendelverkehr, etwa in Form von wissenschaftlich begleiteten Praxistests.

Kommunale Kräfte in regionalen Netzwerken bündeln

Für Kommunen bedeute der Pendelverkehr eine besondere Herausforderung, weil die regionalen Zusammenhänge und die Anforderungen an die Planung komplex sind. Die Studie empfiehlt deshalb den Kommunen, sich in regionalen Netzwerken entlang der wichtigsten Pendelströme zwischen Städten und Umland zusammenzuschließen.

Zu den Maßnahmen, die die Kommunen ergreifen können, gehören laut Studie der Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur, besonders außerhalb der Städte, passgenaue Tarifmodelle in Kooperation mit Arbeitgebern, bessere Bedingungen für den schnellen Radverkehr und eine Stärkung des Mobilitätsmanagements in Kommunen und Betrieben. Gleichzeitig müssten Privilegien des Autoverkehrs abgebaut werden, damit Fortschritte bei der Verkehrsverlagerung nicht durch neuen Pkw-Verkehr aufgehoben würden. Geeignet seien dafür etwa Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, Gebühren für die Nutzung von Parkraum und exklusive Fahrspuren für Schnellbusse auf den wichtigsten Straßen.

„Mit unserer Studie zeigen wir, was Kommunen tun können, um den Pendelverkehr für Mensch und Umwelt verträglicher zu gestalten“, erklärt Philipp Kosok, Projektleiter bei Agora Verkehrswende.

Bisher setze keine Region den Werkzeugkasten vollumfänglich ein. Einzelne Maßnahmen verpufften schnell, erst recht wenn sie an der Gebietsgrenze enden. Wenn Kommunen in Pendelregionen ihr Personal, ihr Wissen und ihre Finanzen bündeln, werden sie für deutliche Verbesserungen sorgen können, ist Kosok überzeugt.

"Von der Bundesregierung brauchen sie mehr Entscheidungsfreiheit, um die Mobilitätswende vor Ort gestalten zu können. Sinnvoll wären auch nationale Vorgaben für das Erstellen von Pendelverkehrskonzepten in besonders betroffenen Regionen und das Einstellen von Mobilitätsverantwortlichen ab einer bestimmten Gemeindegröße", appelliert der Experte für Pendelverkehre.

Verdopplung der Pendelstrecke seit 1976 - fast immer Solo-Betrieb

Das Berufspendeln ist in Deutschland für rund ein Fünftel des Personenverkehrs verantwortlich. Seit 1976 haben sich die mittleren Distanzen im Berufsverkehr fast verdoppelt, von gut 8 auf 16 Kilometer. Die Zahl der Menschen, die nicht in der Gemeinde arbeiten, in der sie wohnen, war im Jahr 2020 mit 19,6 Millionen mehr als 30 Prozent höher als im Jahr 2000. Der Autoanteil ist dabei besonders hoch. Im Pandemiejahr 2020 wählten Pendlerinnen und Pendler zu 68 Prozent das Auto. Das sind fünf Prozentpunkte mehr als ein Jahr zuvor. Dabei fahren sie praktisch immer allein. Im Durchschnitt sitzen jeweils nur 1,075 Personen im Fahrzeug.

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