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Meinungsbeitrag

100% Grünstrom ist heute meist 100% Dreck

Wirklich grüner Strom wird im Idealfall dann verbraucht, wenn er erzeugt wird - oder muss zumindest wirklich "grün" gespeichert werden.

Christoph Erni macht sich seine Gedanken über wirklich grünen Strom - der in vielen Fällen nur grün "geschwindelt" wurde, es in seiner Erzeugung aber gar nicht sein kann. | Foto: Erni
Christoph Erni macht sich seine Gedanken über wirklich grünen Strom - der in vielen Fällen nur grün "geschwindelt" wurde, es in seiner Erzeugung aber gar nicht sein kann. | Foto: Erni
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Redaktion (allg.)

Heute gibt’s eine kleine Denksportaufgabe:

Sie stehen vor einem luftdichten Raum mit einer Sauerstoffanzeige außen an der Tür. Diese spiegelt den Durchschnittswert im Innern des Raumes und der liegt aktuell bei 20%. Das entspricht der Konzentration in freier Natur, perfekte Lebensbedingungen also. Nun öffnen Sie die Tür und finden am Boden einen blau angelaufenen Menschen, der offensichtlich erstickt ist. Was ist passiert?

Richtig: Der Raum wurde zu Beginn mit reinem Sauerstoff gefüllt. Darin lässt sich leben, wenn auf Dauer auch nicht sehr gesund. Aber nach einigen Stunden hatte die Person darin den Raum leergeatmet und mit ihrem ausgestoßen CO2 gefüllt. Anschließend wurde es sehr unangenehm.

Aber, und das ist jetzt interessant: Bilanziell – also im Durchschnitt über die ganze Zeit gesehen – war die Sauerstoffmenge im grünen Bereich. Nur hat das dem armen Tropf überhaupt nichts genützt, denn „bilanziell“ ist eine rein statistische Betrachtung, die in der Praxis nicht funktioniert.

Genau so läuft es fast überall mit Grünstrom. Bis heute ist das in nahezu allen Fällen ein billiger Etikettenschwindel. Denn er ist nur bilanziell grün, meist sogar nur „jahresbilanziell“. Besonders augenfällig wird das, wenn man zum Beispiel eine eigene Solaranlage in unseren Breitengraden betrachtet. Sie liefert im Sommer tagsüber viel mehr Strom als wir brauchen können – während im Februar fast nichts und nachts gar nichts vom Dach runterkommt. Da können wir uns lang selbst belügen, wie wir „bilanziell“ unser Auto mit selbstgemachtem Ökostrom tanken. Tatsächlich helfen wir aber kräftig mit, dass tagsüber viel zu viel Strom ins Netz gelangt, während wir nachts unser Auto aufladen – dann natürlich mit sehr ungrünem Kohlestrom.

Was vielen noch nicht bewusst ist: Strom muss in der gleichen Sekunde ins Netz gespeist werden, in der er auch verbraucht wird. Wollen wir unser Auto also grün laden, müssen wir auf regelbare grüne Stromquellen wie Wasserkraft zurückgreifen – oder aber unseren eigenen Strom aus erneuerbaren Quellen clever zwischenspeichern. Das geht im Tagesrhythmus mit einer Hausbatterie, saisonal wohl nur über zentrale Speicher, beispielsweise via Umwandlung in Wasserstoff.

Entscheidend ist aber, dass der breiten Masse erst einmal bewusst wird, dass diese Gleichzeitigkeit von Einspeisung und Verbrauch den Strom erst wirklich grün macht. Damit das sicht- und nachprüfbar wird, gibt es neu ein diesbezügliches Zertifikat für Kraftwerke und Energieversorger: www.truetime-certificate.com . Gegründet als Non-Profit-Organisation, ist das endlich ein erster guter Schritt in die richtige Richtung, den ich auch persönlich unterstütze.

Wenn Sie ebenfalls der Meinung sind, dass wir die Energiewende nur schaffen, wenn wir uns nicht weiter selbst belügen, helfen Sie bitte mit, dass sich mehr Leute um Gleichzeitigkeit bemühen.

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