10. SIGNal Flottentag: Flottes Treffen mit Promi- und Premieren-Faktor

In zehn Jahren wuchs der Flottentag des Folierungsspezialisten in Schwäbisch-Hall zum veritablen Branchentreff für Fuhrparkmanager. Diesmal gar mit Fahrzeugpremieren von MG und Lotus - und Promi-Talkgast, Ex-VW-Chef Matthias Müller. TU-Mobilitätsforscher Alexander Rammert bildete das Gegengewicht und mahnte: Mobilität ist mehr als "Auto-Mobilität".

Beim Auto-Talk in seinem Element: Ex-VW-Konzernchef Matthias Müller kam für einen intensiven Plausch über Wirtschaft, Politik und die China-Konkurrenz in Schwäbisch-Hall vorbei. | Foto: J. Reichel
Beim Auto-Talk in seinem Element: Ex-VW-Konzernchef Matthias Müller kam für einen intensiven Plausch über Wirtschaft, Politik und die China-Konkurrenz in Schwäbisch-Hall vorbei. | Foto: J. Reichel
Johannes Reichel

Der 10. Flottentag des Fahrzeugfolierungsspezialisten SIGNal in Schwäbisch-Hall lockte mehr denn je Fachleute aus Firmen und Fuhrparks sowie zahlreiche Aussteller an: Vor etwa 250 Gästen sorgte zudem Ex-VW-Chef Matthias Müller für ein Debatten-Highlight und der Mobilitätsforscher Alexander Rammert von der TU Berlin für ein inhaltliches Gegengewicht. Zudem gaben sich 47 Aussteller die Ehre und präsentierten Neuheiten aus den Bereichen Fahrzeug, Flotte, Telematik, Software und Service. Die Besucher repräsentierten zugleich namhafte Unternehmensfuhrparks. 

"Früher gab es für so etwas eine IAA", scherzte SIGNal-Geschäftsführer Markus Schäffler, der das Unternehmen für Fahrzeugfolierungen 1998 gegründet und 2013 den ersten Flottentag veranstaltet hatte, vor 30 Zuhörern, wie er betonte.

Man wolle mit dem Event eine Plattform zum Austausch Flottenverantwortliche bieten, die die Transformation in den Fuhrparks voranbringt und Platz für Debatten lässt. Daher sah das Programm neben einigen Vorträgen und einem Talk mit Matthias Müller auch viel Zeit für das Netzwerken vor sowie an einem weiteren Tag für Testfahrten, hier fast ausschließlich mit elektrisch angetriebenen neuen Modellen europäischer wie fernöstlicher Hersteller.

"Wir haben gerade mal drei Verbrenner übrig und mit einem Plug-in-Hybrid hat man hier fast schon eine Alleinstellung", bemerkte Schäffler süffisant und verwies auf echte "Live-Premieren" wie den MG4, den Nio EL7 oder den Lotus Eletre.

Ebenso neu am Start, aber bereits auf der IAA im vergangenen Jahr zu sehen: Der ORA Funky Cat aus dem Imperium des Wey-Konzerns, wie alle anderen Premieren von einem chinesischen Hersteller. Die deutlich erstarkte China-Konkurrenz bildete denn auch der Einstieg in den Motor-Talk mit Baden-Württembergs Wirtschaftsminister a.D. Walter Döring und Ex-VW-Chef Matthias Müller, der an die deutschen Hersteller appellierte, sich der chinesischen Konkurrenz mutig zu stellen. Er goutierte die produktseitigen Bemühungen der Anbieter und zollte etwa dem ORA oder dem NIO großen Respekt, betonte aber, dass es neben dem Produkt vor allem der Vertrieb, Service und das Marketing sei, das entscheide.

China hat beim Vertrieb dazugelernt

Hier hätten die chinesischen Hersteller allerdings deutlich dazu gelernt und starteten jetzt einen weiteren, weit aussichtsreicheren Anlauf, so Müller. Dennoch gebe es keinen Anlass für die deutsche Autoindustrie zu kapitulieren, man habe die hiesigen Hersteller zu oft schon "tot gesagt". Lange habe man zudem von China profitiert, es sei ein Geben und Nehmen gewesen, auch VW habe diverse Kooperationen. Müller bezweifelte allerdings, ob die China-Marken es in fünf Jahren noch nötig hätten, so zu kooperieren, wie das bisher der Fall war.

Klar, dass Müller für Technologieoffenheit plädiert

Ansonsten machte sich Müller, für einen Ex-Porsche-Chef und 911er-Fan wenig verwunderlich, dafür stark, die Industrie bei der Suche nach der besten Technologie für klimafreundlichen Verkehr machen zu lassen, während die Politik nur einen Rahmen setzen solle. Er plädierte etwa vehement für Synfuels als Brückentechnologie für den Bestand an Fahrzeugen, sprach sich zugleich aber für eine Forcierung der Elektrifizierung bei Neuwagen aus. Der Druck in Sachen CO2 solle ruhig höher werden, der Weg aber der Industrie überlassen - und der Kunden-Entscheidung, was im Übrigen aus Müllers Sicht auch beim Thema autonomes Fahren gilt: Jeder soll selbst entscheiden, was er im Fahrzeug braucht. 

Das Auto und die Industrie behalte natürlich eine zentrale Rolle, darüber hinaus gelte es aber "multimodal" zu denken, erklärte der Ex-Topmanager, der früher selbst gerne mit der Bahn unterwegs war. Es müsse ein Angebot um das Auto herum geben, das man flexibel und nach Bedarf wählen könne. "Wenn jeder auf seinem Verkehrsmittel beharrt, geht nichts weiter", meinte Müller.

Mobilität für Menschen: Ein Tesla ist noch keine Fuhrpark-Innovation

Im Gegensatz dazu plädierte der Mobilitätsforscher Alexander Rammert von der TU Berlin in seiner Keynote dafür, Mobilität nicht primär als "Auto-Mobilität" zu begreifen und einen kompletten Reset zu machen, orientiert am Menschen: Was sind die Bedürfnisse und wie kann man sie bedienen, stellte Rammert als Leitfrage in den Raum. Es genüge nicht, den Antrieb von Verbrenner auf Elektro zu tauschen und zu glauben das genüge. Ein Tesla vor der Firmentür sei noch keine Innovation im Sinne von Fortschritt. Man schränke sich unnötig ein in den Lösungsmöglichkeiten, wenn man auf das Auto insistiere.

"Hohe Mobilität heißt nicht, ein schnelles Auto zu fahren, sondern viele Optionen zu haben", meinte Rammert.

Mobilität sei die Ursache von Verkehr und könne von jedem Einzelnen mit der individuellen Entscheidung beeinflusst werden. Er plädierte für ein Mobilitätsmanagement, das in den Unternehmen gemeinsam mit den Mitarbeitenden gestaltet werden müsse. Mobilität könne etwa auch bedeuten, dass man Verkehr vermeide, meinte Rammert mit dem beispielhaften Hinweis auf einen mobilen Dorfsupermarkt, der den Bewohnern die Fahrt in einen Nachbarort erspare. Auch die Chancen von Co-Working-Spaces, die in der Pandemie entstanden seien, sollte man nicht unterschätzen, um Verkehr zu reduzieren. Das 9-Euro-Ticket bezeichnete Rammert als "enormen Mobilitätsgewinn" und forderte einen Ausbau der "Mobility-as-a-Service"-Angebote nach dem Vorbild der niederländischen Universal-App "Whim".

"Das Auto kann den Möglichkeitenraum erweitern, es kann ihn aber auch einschränken", erklärte Rammert mit Hinweis auf die Zersiedelung von urbanen Räumen, die die Nahversorgung ohne Auto reduzieren würden.

Es lohne sich, für Unternehmen hier zu investieren, auch wenn das im ersten Moment vielleicht Geld koste und Aufwand verursache. Er appellierte, hier proaktiv und nicht reaktiv vorzugehen.

Fuhrparks steuern um - auch mal weg vom Auto

Wobei man im Gespräch mit den Fuhrparkverantwortlichen dann erfahren konnte, dass nicht nur die Elektrifizierung der Unternehmensfuhrparks, also die Antriebswende tatsächlich längst im vollen Gange ist. Auch über bessere ÖPNV-Optionen zu den Firmensitzen macht man sich Gedanken, wenn etwa ein Sportartikelhersteller über eine eigene Buslinie sinniert, die den vom ÖPNV abgehängten Standort erschließen könnte. Hier stünden allerdings viele Vorschriften im Weg, etwa des Personenbeförderungsgesetzes. Auch ein Dienstradmodell gibt es längst.

Und ansonsten gibt es für Dienstwagen längst ein striktes CO2-Regime, Neuanschaffungen sind fast ausschließlich rein elektrisch, Plug-in-Hybride gab es nie und der Diesel ist ein Auslaufmodell, das nur Mitarbeiter über 60.000 Kilometer Monatsstrecke genehmigt bekämen. Zeitnah wird die Ladeinfrastruktur mit 100 Ladepunkten massiv aufgestockt.

Neue Policy: Neuwagen nur noch elektrisch

Auch bei einem Bauunternehmen ziehen moderne Zeiten im Fuhrpark ein, wo jüngst eine neue "Car Policy" beschlossen wurde, die Elektroautos klar Vorfahrt einräumt, auch wenn das in der Anschaffung respektive Leasing erst mal teurer käme und man mit über Jahre eingespielten Gewohnheiten der (Diesel)Fahrzeugwahl brechen müsse. Einhergeht auch hier der Ausbau der firmeneigenen Ladeinfrastruktur.

Wie sich eine solche am Unternehmensstandort leicht aufbauen lässt, darüber informierte etwa das Start-up ChargeX, wie man die E-Mobilität unterwegs sicherstellt, die HPC-Ladespezialisten EnBW oder Mer. Die komplette Dienstleistung von der Beratung bis zur Umsetzung der Ladeinfrastruktur übernimmt etwa das Joint-Venture von Schneider Electric und der Deutschen Bahn inno2fleet. Und was die Telematik und Apps dabei beitragen können, stellten etwa Geotab, webfleet oder wollnikom dar.

Neue Zeiten: Jobrad auf der Flottentagung

Und dass es eben nicht immer Auto sein muss in der Flotte, darüber informierte der Pionier Jobrad, bei dem man sich auf einer Fuhrparkveranstaltung keineswegs deplaziert fühlte. Man spüre eine deutlich größere Offenheit für das Thema, das Pedelec sei oft eine gute Alternative zum Dienstwagen. Nur beim Thema S-Pedelecs schiebe der Gesetzgeber einen "bremsenden" Riegel vor, sonst böten die schnellen E-Bikes noch deutlich mehr Potenzial für das "Rad als Autoersatz". Bei so viel allseitiger Offenheit, wer weiß, ob nicht beim 11. Flottentag in Schwäbisch-Hall die ersten Pedelecs oder E-Cargobikes gesichtet werden.