Software-Defined Vehicle: Es gibt ein Update!
Am Valeo-Stand auf dem Mondial de l’Auto 2024 in Paris sah man diesmal sehr viele Screens, deren Inhalte auch Emmanuel Macron, Frankreichs Präsident, erklärt wurden, mit dem wir quasi über den Stand geführt wurden. Anschließend ging es zum Espace Clacquesin, einer einstigen Destillerie, wo uns Derek de Bono, Vice President Software-Defined Vehicle, zum Round Table empfing und tief ins Thema Software-Defined Vehicle (SDV) einstieg. Das ist für Valeo das große nächste Thema, das die Automobil- und Zuliefererindustrie grundlegend ändern soll.
Das Auto ist Software auf Rädern
Denn tatsächlich muss das Auto seiner Meinung nach neu gedacht werden: als Software auf Rädern, über die man die Lebensdauer verlängern und, noch wichtiger, neue Geschäftsmodelle entwickeln kann. Man müsse davon wegkommen, Autos teuer zu entwickeln, um die hohen Kosten über die Jahre wieder einzuspielen und dann im Idealfall Gewinne einzufahren. Das aktuelle Problem dieses Geschäftsmodells: Der Markt ist prinzipiell gesättigt – Valeo-CEO Christophe Périllat sprach schon ganz unverhohlen vom überschrittenen „Peak Auto“. Die Kunden gehen die höheren Neuwagenpreise nicht mehr uneingeschränkt mit und die Software entwickelt sich rapide weiter, heißt: Man muss Möglichkeiten finden, die Entwicklungskosten zu senken respektive die Einnahmen über zusätzliche Features länger am „Sprudeln“ zu halten.
Zumal man mit dem SDV viel mehr Möglichkeiten habe, das Auto an die gewünschten Gegebenheiten anzupassen: Schon heute könne man die Hinterachslenkung bei Mercedes-Benz von vier auf zehn Grad Einschlag „freischalten“ lassen. Doch wer das nicht braucht, muss nicht dafür bezahlen. Das Ärgerliche daran aus Kundensicht ist: Man erhält heute Autos, die per se viel mehr können, als man erhält, aber man darf es eben nur gegen Aufzahlung nutzen, was bei vielen das Gefühl auslöst, übervorteilt zu werden, denn: Die Features sind ja alle an Bord, aber man hat nix davon …
Ein anderes kritisches Thema ist zweifellos die Cybersecurity. Die wird immer wichtiger! Wenn man sein Auto nicht ständig updatet, könnte es irgendwann irgendwer steuern oder es fährt gar nicht mehr, obwohl die Hardware voll intakt ist. Und: All das kostet und bringt die Kunden in neue Bezahlabhängigkeiten. Wie aufwendig das ist, erkannte man zuletzt unter anderem bei Porsche, wo man den Macan wegen Cybersecurity einstellte, während Audi den Q5 noch weiterbaute. Laut Insidern hätte es einen erheblichen Betrag gekostet, den Macan hier aufs nächste Level zu heben – Geld, das Audi nochmal zähneknirschend in die Hand nahm, Porsche aber wegen der absehbaren kurzen Restlaufzeit nicht mehr, zumal die Kunden es dem Auto gar nicht angesehen hätten.
Das Problem der Autoindustrie: Laut de Bono ist Cybersecurity wie beim Handy Grundvoraussetzung, bleibt also Sache der Autohersteller: „Niemand zahlt für einen Security-Patch!“, kennt er die Realität. Und was passiert, wenn man später mehr Rechenleistung braucht? Dafür hat Valeo neue, modular aufgebaute Steuerboxen und man könnte ein zweites Stack dazu packen. Wie das in der Praxis aussieht, demonstriert uns de Bonos Kollege Hisham al Saeed, Software Business Development Director bei Valeo, der uns diverse Hardwareboxen zeigt, die er im Detail nicht fotografiert haben möchte. Al Saeed erklärt, dass man leider nach ein paar Jahren nicht einfach den Chip tauschen und durch den neueren, stärkeren ersetzen kann. Weshalb man die Option schuf, ein neues Gehirn „hinzuzupacken“, das clever mit dem „alten“ kooperiert: Beide dienen auch als gegenseitiges redundantes Back-up und teilen sich die Aufgaben je nach Rechenbedarf, im Idealfall so, dass keiner je in Überlast kommt. Beide sind im Demo-Beispiel an eine Armaturenlandschaft angeschlossen. Dann schaltet al Saeed einen Rechner weg und es wird schwarz: Nur noch Tempo und die wichtigsten Daten werden angezeigt. Es dauert ungefähr zwei, drei Sekunden, bis der zweite Rechner den Ausfall bemerkt, sich die verlorenen Aufgaben „gezogen“ hat und diese übernimmt. Eine defekte Cartridge muss dann getauscht werden.
Die Central Control Unit spart auch massiv Strom
Und wie viel Strom braucht so ein System? Darauf hat Harald Barth, Product Marketing Manager, die Antwort: Der Stromkonsum sollte sinken, denn: Wenn aktuell 40 Steuergeräte je 20 bis 30 Watt Leistung ziehen, darf so ein Domaincontroller auch mal ein paar hundert Watt verbrauchen. Er ist dann immer noch viel sparsamer, wie Barth vorrechnet. Diese Power braucht man zum Beispiel für Valeos Smart System 360, an das man bis zu fünf Radare, zwölf Ultraschallsensoren, Kameras, das Driver Monitoring und Lidar hängen kann. Das alles ist upgradefähig, was vor allem in Asien immer wichtig ist.
Womit er zum nächsten Ausstellungsstück geht und uns eine Wärmebildkamera zeigt, die eine Elchherde im Wald ebenso entdeckt wie Radfahrer im Nebel. Sie sollte nicht mit einer Nachtsichtkamera verwechselt werden, da sie eben nicht nur nachts beim Detektieren von Lebewesen oder Wärmequellen hilft, sondern auch bei niedrigem Sonnenstand, Nebel usw. Die konnte man jetzt zusammen mit Partnern auf eine Größe einer „Standardkamera“ schrumpfen. Partner ist ein gutes Stichwort, denn: Fast niemand weiß, dass die Antriebe von Mercedes-Benz EQE und EQS von Valeo kommen, dass man mit BMW gemeinsam auf Augenhöhe den Domaincontroller fürs automatisierte Parken weiterentwickelt und mit Renault und Google die Softwareplattform für künftige Modelle entwickelt.
Auf die abschließende Frage, ob die Automobilhersteller je mit Apple oder Google konkurrieren werden, hat de Bono eine ernüchternde Antwort: „Nie!“
Auf den Punkt
Es ist … eine neue Entwicklung im Automotive-Bereich, die Fahrzeuge lang up to date halten kann, aber leider nicht nur Vorteile mit sich bringt.
Ideal für … die digitale Weiterentwicklung und Werterhaltung der Fahrzeuge.
Schön, dass … die Software so im Idealfall ein Fahrzeugleben lang aktuell bleibt.
Schade, dass … man die Software ein Fahrzeugleben lang updaten muss und wegen der Cybersecurity eher zusätzliche Kosten entstehen.
"Cybersecurity ist wichtiger denn je"
Interview mit Prof. Thomas Köhler, Geschäftsführer der CE21 – Ges. für Kommunikationsberatung mbH
Cybersecurity ist wichtiger denn je – gerade beim SDV. Prof. Thomas Köhler berät Unternehmen zum Thema Cybersecurity und hat mehrere Abhandlungen dazu verfasst. Weshalb er auf unsere Fragen auch umfassend antworten konnte.
Um wie viel wichtiger wurde das Thema Cybersecurity im Zusammenhang mit dem SDV über die letzten zehn Jahre?
Prof. Thomas Köhler:Noch sind SDVs kaum mehr als ein Zielbild für die Autobranche. Andere Branchen, wie etwa die Telekommunikation, sind deutlich weiter. Grundlegend bedeutet „Software-Defined“, dass Funktionen, die bisher in spezialisierter Hardware implementiert waren, nun auf weitgehend standardisierter Hardware softwaremäßig abgebildet werden. Dies bedingt beim Auto eine Veränderung der Elektronikarchitektur hin zu leistungsstarken und weitgehend standardisierten zentralen Systemen anstelle – wie bisher – zig Steuergeräten. Bis dato sehen wir die Auswirkungen der Idee erst in kleinen Teilen, wie etwa bei der Sitzheizung, die man zum Beispiel bei BMW für die benötigte Zeit im Abo „mieten“ konnte.
Jede Verlagerung von spezialisierter Hardware in Software und jede zusätzliche Connectivity-Option (wie sie ja für Updates oder das „Buchen“ einzelner Optionen benötigt werden) erhöht aus Cybersecurity-Sicht die „Angriffsoberfläche“, mithin das Risiko, einer erfolgreichen Cyberattacke auf einzelne Fahrzeuge oder – Gott bewahre – auf alle Fahrzeuge eines Typs oder Herstellers. Dem gegenüber stehen die höheren regulatorischen Anforderungen an Cybersicherheit. Doch diese Regularien und die Cybersicherheits-Mindestanforderungen wollen bei jeder neuen Softwaregeneration – und zukünftig sollen darüber ja häufigere Updates erfolgen – eingehalten werden. Der Aufwand dafür dürfte vielen Unternehmen nicht bewusst sein.
Diesen Eindruck haben wir auch. Wohin wird sich dieses Thema perspektivisch dann entwickeln?
SDVs sind eine geschäftliche Wette auf die wertschöpfenden Aspekte von Standardisierung. Man hofft herstellerseits auf schnellere Release- und Update-Zyklen und Zusatzgeschäfte. Dies gilt etwa für die Buchung von einzelnen Funktionen für bestimmte Zeiträume, als „Mietoption“, bessere Planung von Wartung sowie die bessere Verwertbarkeit von Nutzungs- und Nutzerdaten (DSGVO hin oder her).
Nicht zu vergessen sind neue Telematik-Geschäftsmodelle für die Versicherungsbranche. Kleiner Schönheitsfehler: Nicht alle diese Dinge sind bei Kunden sonderlich beliebt. Die von BMW ab 2022 im Abo angebotenen Sitzheizungen etwa wurden nach einem „Shitstorm“ im Internet wieder von der Tagesordnung genommen1.
Entsteht dadurch nicht ein hoher zusätzlicher Kostenblock für die Fahrzeugindustrie und deren Kunden? Wie könnte man das vermeiden?
Initial ist der Aufwand für die Unternehmen hoch, aber natürlich kein Selbstzweck, denn SDVs werden ja als Basis für zusätzliche Umsatzoptionen gesehen. Dennoch bleibt es für den Kunden schwer verständlich, dass er zusätzlich zu einem Auto, das er gekauft hat, für einzelne Funktionen monatlich oder jährlich bezahlen soll. Auch in anderen Bereichen sind Abos nicht unbedingt beliebt. Ich beobachte bei Endverbrauchern wie Business-Anwendern eine zunehmende Abo-Müdigkeit. 39 Prozent der Endverbraucher in Deutschland wollen etwa ihre Online-Abos reduzieren2. Eine ähnliche Unzufriedenheit sehen wir auch in anderen Märkten, wie etwa den USA. Die Autoindustrie ist hier „late to the party“ und könnte unter der zunehmenden „Subscription Fatigue“ mehr leiden als davon profitieren.
Übrigens: Eine vergleichbare Entwicklung gibt es auch im B2B, dort geht der Trend inzwischen wieder weg vom Cloud-/SaaS-Abomodell hin zu eigenen Systemen. Hinzu kommt: Das Fuhrparkmanagement der meisten Unternehmen ist auf derartige Herausforderungen (das Ganze muss ja nicht nur bezahlt, sondern auch administriert werden) überhaupt nicht eingestellt.
Dennoch: Die Grundidee ist mehr als charmant. Hinreichend Rechnerleistung vorausgesetzt lässt sich das Auto immer wieder „updaten“, so die Marke die Unterstützung nicht einstellt oder der Hersteller insgesamt den Betrieb einstellt. Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was schlimmstenfalls passieren kann, hat die Pleite von Fisker gezeigt. Hier sah es temporär so aus, als ob der Betrieb des für viele Fahrzeugfunktionen wichtigen Servers beim Insolvenzverwalter nicht auf den Käufer (eine US-Leasinggesellschaft) übertragen werden kann und bestehende Besitzer „in die Röhre“ schauen. Dies wurde abgewendet. Für den Augenblick zumindest.
Quellen:
1 https://www.autocar.co.uk/car-news/new-cars/bmw-will-not-charge-extra-a…
2 https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/neue-studie-die-große-ab…
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