Conti & Vodafone: Smarte Reifen lesen die Straße: Blau, rund und schlau
Dass auch Reifen „smart“ werden, überrascht nicht. Noch immer gibt es Reifenplatzer – die aber seltener werden, seit Reifendruckkontrollsysteme im Auto verbindlich vorgeschrieben sind. Die waren eigentlich nur der Anfang einer Entwicklung, die jetzt richtig Fahrt aufnimmt: die Entwicklung hin zu smarten Reifen. Und die sollen die Straße förmlich „lesen“ können, wenn es nach dem Willen von Conti und Co. geht. Die Hannoveraner haben den Vorteil, als Reifensparte Teil eines Zulieferers zu sein, der sich auch mit ganz anderen Themen beschäftigt und gerade zusammen mit Vodafone an einem „digitalen Schutzschild“ für alle Verkehrsteilnehmer arbeitet. Die Stichworte sind einmal mehr 5G, V2X, Mobile Edge Computing und künstliche Intelligenz. Letztere sollen eben auch die Reifen besitzen. Deshalb arbeiten die Experten von Continental jetzt unter anderem an der Vorhersage und Beherrschung des Risikos von Aquaplaning. Ihr Ziel ist es, ein potenzielles Aufschwimmen der Vorderräder so früh wie möglich zu erkennen, um den Fahrer rechtzeitig warnen zu können. Mithilfe der Informationen von Surround-View-Kameras und von im Reifen montierten eTIS-Sensoren (Electronic-Tire Information System) soll der Fahrer rechtzeitig gewarnt werden, bevor er „ins Schwimmen“ gerät. Sollte das trotzdem passieren, will Continental die Aquaplaning-Folgen über die Steuerung und Stabilisierung des Fahrzeugs etwa durch eine gezielte Bremsmomentverteilung zur individuellen Abbremsung einzelner Räder der Hinterachse in den Griff bekommen, da Aquaplaning auch plötzlich auftreten kann, sodass keine vorherige Warnung möglich ist. Trotzdem wird es wahrgenommen und kann wenigstens noch an andere Fahrzeuge kommuniziert werden, Stichwort Vehicle2Vehicle- oder Vehicle2X-Kommunikation. Durch die V2X-Technologie entsteht eine „Art solidarisches Netzwerk“, bei dem ein Fahrzeug als Sicherheitssensor für alle anderen und nicht nur für diejenigen in unmittelbarer Nähe fungiert. Per V2X oder eHorizon können diese Infos dann potenziell von Aquaplaning betroffenen Fahrzeugen zur Verfügung gestellt werden, damit diese ihre Fahrfunktionen an die Bedingungen anpassen können.
Und wie will Conti Aquaplaning erkennen? Einerseits über die Surround-View-Kameras: Wenn viel Wasser auf der Straße ist, zeigen die Kamerabilder ein spezifisches Spritz- und Sprühmuster, das bereits sehr früh als Aquaplaning identifiziert werden kann. Charakteristisch sei laut Conti zum Beispiel eine übermäßige Wasserverdrängung in alle Richtungen unter dem Reifen. Tatsächlich lieferten die Algorithmen zur Nässeerkennung bei der Vorhersage potenzieller Aquaplaning-Bedingungen in der ersten Testphase des neuen Systems bereits eine sehr hohe Trefferquote. Zusätzlich zu den Kameradaten nutzt Continental auch Informationen von den Reifen selbst. Dabei werden die Signale der eTIS-Sensoren von Continental berechnet. Die sind in die innere Deckschicht des Reifens eingebaut: „Wir verwenden das Signal des Beschleunigungssensors aus dem elektronischen Reifeninformationssystem eTIS und suchen dies nach einem spezifischen Signalmuster ab“, erläutert Andreas Wolf, Leiter des Geschäftsbereichs Body & Security bei Continental. Ein Reifenmodell verarbeitet dann die eingehende radiale Beschleunigung des Reifens, der in Kontakt mit der Straße ist.
Der Reifen kann künftig tatsächlich die Straße „lesen“!
Und wie muss man sich das in der Praxis vorstellen? Auch hier arbeitet Conti wieder mit optischer Erkennung: Bei nassen Straßen – wenn genug Wasser aus dem Profil herausbefördert wird, um sicheren Grip zu gewährleisten – zeigt das Signal ein charakteristisches Muster. Sobald sich im Bereich vor der Reifenaufstandsfläche ein Wasserkeil zu bilden beginnt und sich übermäßig viel Wasser auf der Fahrbahnoberfläche befindet, beginnt das Beschleunigungssignal auf charakteristische Weise zu oszillieren und zeigt so ein Aquaplaning-Risiko frühzeitig an. Da der eTIS-Sensor auch das Restprofil des Reifens erkennen kann, lässt sich anhand dieser Daten eine sichere Geschwindigkeit für einen bestimmten nassen Fahrbahnzustand berechnen und an den Fahrer weiterleiten. Versuche haben gezeigt, dass die Aquaplaning-Assistenz künftig auch das Potenzial haben wird, in tatsächliche Aquaplaning-Situationen einzugreifen, indem die Hinterradbremsen kontrolliert betätigt werden, um ein gewisses Maß an Bremsmomentverteilung zu erzeugen und so die Manövrierbarkeit und Stabilität des Fahrzeugs innerhalb der physikalischen Grenzen zu halten. Aber Conti hat noch weitere Ideen, wie man die schwarzen Rundlinge aufschlauen könnte. Sie wurden unter den Namen ContiSense und ContiAdapt erstmals auf der IAA 2017 in Frankfurt in einer Reifenstudie präsentiert. Für ContiSense entwickelte man leitfähige Gummimischungen, die den Austausch elektrischer Signale zwischen einem Sensor im Reifen und einem Empfänger im Auto ermöglichen. Gummibasierte Sensoren messen kontinuierlich Profiltiefe und Temperatur. Beim Über- oder Unterschreiten definierter Grenzwerte wird der Fahrer sofort informiert. Ein möglicher Profildurchstich schließt einen Stromkreis im Reifen und löst ebenfalls eine sofortige Meldung an den Fahrer aus – schneller als bislang genutzte Systeme, die erst dann warnen, wenn der Fülldruck bereits nachlässt. Die Technologie ContiSense wird künftig um zusätzliche Sensoren erweitert, die auch einzeln zum Einsatz kommen können. So können auch Informationen über die Fahrbahn wie Temperatur oder Schnee künftig vom Reifen direkt „erfühlt“ und an den Fahrer weitergegeben werden.
Die Daten können an die Fahrzeugelektronik oder auch per Bluetooth an ein Smartphone übermittelt werden. Denkbar wäre auch das „Erkennen“ oder „Auslesen“ verschiedener Fahrbahnoberflächen. Etwas Mechanik ist dann bei ContiAdapt nötig: Dabei kombiniert man im Rad integrierte Mikro-Kompressoren zur Änderung des Reifenfülldrucks mit einer Felge, die man in der Breite einstellen kann. Dadurch verändert sich die Reifenaufstandsfläche, die bei unterschiedlichen Straßenbedingungen entscheidend für Sicherheit und Komfort ist. Vier Kombinationen erlauben eine perfekte Einstellung auf nassem, unebenem, rutschigem und normalem Untergrund. Eine verkleinerte Aufstandsfläche mit hohem Fülldruck bietet beispielsweise einen niedrigen Rollwiderstand und energieeffizientes Fahren auf trockenen, ebenen Strecken. Eine vergrößerte Aufstandsfläche mit geringerem Reifenfülldruck schafft idealen Grip auf rutschigem Untergrund. Auch ist ein sehr niedriger Fülldruck von unter einem bar einstellbar, um das Fahrzeug sicher aus tief verschneiten Parklücken oder einem Gefahrenbereich mit Blitzeis zu fahren. In einem Konzeptreifen wurden beide Technologien vereint und das Ganze mit einem speziellen Design versehen. Das bietet drei unterschiedlich profilierte Bereiche für die Fahrt auf nassem, rutschigem und trockenem Untergrund. Je nach Fülldruck und Felgenmaulweite werden unterschiedliche Profilzonen aktiviert; der Konzeptreifen nimmt so den jeweils nötigen „Fußabdruck“ an und die Reifeneigenschaften passen sich so an die jeweilige Straßenbedingung oder an die Ansprüche des Fahrers an.
Aber auch in der Fertigung geht Continental neue Wege und hat mittlerweile eine Möglichkeit gefunden, Kautschuk aus Löwenzahn zur Reifenerzeugung zu nutzen, was unter dem Label „Taraxagum“ läuft. Dazu wurde in Anklam eine Forschungseinrichtung, das Taraxagum Lab, aufgebaut. Mittelfristig werden dort rund 20 Mitarbeiter ab dem Herbst mit dem Aufbau von Maschinen und ersten Versuchen für die Weiterverarbeitung von Russischem Löwenzahn beschäftigt sein. Hier forscht auch Michelin intensiv und warf auf dem Mobilitätsgipfel Movin’On einen Blick in die Zukunft der nachhaltigen Reifenproduktion. Denn bis 2048 wollen die Franzosen ihre Reifen zu 80 Prozent aus nachhaltigen Materialien fertigen. Außerdem sollen zu diesem Zeitpunkt sämtliche Reifen aus eigener Produktion komplett recycelt werden. Hierzu wird das Unternehmen verstärkt in Hightech-Recycling-Technologien investieren. Aktuell beträgt der Anteil nachhaltiger Materialien bei der Produktion 28 Prozent, wovon mit 26 Prozent der überwiegende Teil aus nachwachsenden Rohstoffen stammt. Hierzu zählen beispielsweise Naturkautschuk, Sonnenblumenöl und die in einer Vielzahl pflanzlicher Öle enthaltenen Limonen. Weitere zwei Prozent stellen bereits recycelte Stoffe wie Stahl und Gummipulver aus Altreifen. Auch Michelin testet ungewöhnliche Rohstoffe: Synthetischer Kautschuk kann auch aus Biomasse, wie Holz, Stroh oder Rüben, erzeugt werden.
Außerdem bringt natürlich auch Michelin seinen Reifen Intelligenz bei: Mit der bei Movin’On 2017 erstmals vorgestellten Rad-Reifen-Studie „Michelin Visionary Concept“ zeigte man bereits, wie Reifen der Zukunft aussehen könnten.
Zu den speziellen Merkmalen des zu 100 Prozent recycelbaren und vernetzten Konzeptreifens gehört die jederzeit per 3D-Printverfahren erneuerbare und biologisch abbaubare Lauffläche. Auch hier denkt man wie bei Conti über verschiedene Anforderungsmodi nach: Bei Michelins Konzept lässt sich das Profil ohne Reifenwechsel je nach Witterungs- und Straßenverhältnissen per Tastendruck als Sommer-, Winter- oder Offroadreifen konfigurieren. Deutlich reeller, allerdings vorerst für die wenig ökologische Nische des Rennsports konzipiert ist dagegen die erste voll vernetzte Lösung für die Reifenüberwachung, die Michelin unter dem Namen „Track Connect“ präsentiert hat.
Bei Michelin können die Pneus Luftdruckempfehlungen geben
Dabei sammeln die Pneus über integrierte Sensoren Temperatur- und Luftdruckdaten. Die werden mit bereits vorher eingegebenen Werten zu Rennstrecke, Straßen- und Witterungsverhältnissen kontinuierlich abgeglichen und signalisieren dem Fahrer bei Bedarf die Anpassung des Luftdrucks, um seine Performance weiter zu steigern. Die Daten verarbeitet ein leistungsstarker Prozessor, der die in Echtzeit aufbereiteten Infos aufs Smartphone des Fahrers überträgt und übersichtlich über eine spezielle App darstellt. So erhält man relevante Informationen zu seinen Fahrten, den Strecken, seinen Fahrzeugen und dem persönlichen Fahrerprofil. Ein System, das in einem weiteren Step auch für Flotten hochinteressant sein könnte.
Extreme Ideen zum Thema Reifen der Zukunft hat auch Hankook, wie man zur Pkw-IAA 2017 sehen konnte: Mit Studenten entwickelte man extreme Konzepte und beschränkte sich dabei nicht nur auf den Reifen, sondern dachte gleich komplette Mobilitätssysteme mit, die hochintelligente und (auch mechanisch) flexible Pneus benötigen. Darunter der „Flexup“, der Treppen steigen kann, das Konzept „Autobine“ für den ÖPNV oder verschiebbare Reifenflächen, um zum Beispiel Polizeiautos schnelle Richtungswechsel in Innenstädten zu erlauben.
Und die könnte man theoretisch umsetzen. Denn Hankook hat sich mit 75 Prozent an Model Solution Ltd., einem Unternehmen für digitale Prototypen, beteiligt. Model Solution entwickelt und fertigt Prototypen und Formen für IT-Ausrüstung wie beispielsweise elektronische und medizinische Geräte. Seit 2007 bietet das Unternehmen Lösungen im Bereich digitaler Prototypen an und betreut derzeit 420 Kunden weltweit. Und in Sachen Design und Prototyping könnte Model Solution tatsächlich auch umsetzen, was Hankook plant. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung von Kompetenzen, wie dem 3D-Druck, konnte sich der Hersteller zu einem der Marktführer in der Prototypenbranche entwickeln. Durch Fusionen und Übernahmen von Hightech-Unternehmen erhofft Hankook neues Wachstumspotenzial und setzt auf eine Verzahnung mit bestehenden Kooperationen: Durch die Kombination des Know-how von Model Solution mit den Verarbeitungstechniken der Hankook Tire-Tochtergesellschaft M&K Technology, einem großen Werkzeughersteller, maximiert Hankook Synergieeffekte.
Doch auch Hankook nutzt die Studien, um zu zeigen, wie „breit“ das Thema Reifen prinzipiell gedacht werden kann, bevor uns Martin Winkler, leitender Entwicklungs-Ingenieur bei Hankook, wieder zurückholt in die Realität: Und da fordert die Elektromobilität komplett neue Ansätze – vor allem, was die Themen Rollwiderstand und Geräuschentwicklung angeht. Um ersteren zu reduzieren, braucht es tendenziell schmale Formate mit großen Durchmessern. Außerdem lassen die leisen Elektroantriebe die Reifengeräusche lauter erscheinen als bei Verbrennern. Auch sollten die Pneus möglichst leicht sein, was laut Winkler aber die sogenannten Kavitätsschwingungen im Reifen verstärken kann – das ist die Schwingung der Luft im Reifeninneren. Und da E-Mobile ihre Kraft „impulsiver“ entfalten als Verbrenner, braucht man eigentlich eher mehr als weniger Auflagefläche.
Dazu kann man die Profiltiefe reduzieren, was aber zu Lasten der Lauf- und Verschleißeigenschaften geht. Gleiches gilt für höhere Drücke, weshalb man für Elektroautos zunehmend neue Formate entwickelt, zum Beispiel 245/45R21 für den VW I.D. Crozz. Und natürlich tüftelt auch Hankook längst am „intelligenten“ Reifen, der per Sensorik mit dem Fahrer und der Umwelt kommuniziert, wozu man auch mit Chipherstellern kooperiert. Großes Augenmerk legt man dabei auch auf das autonome Fahren, bei dem Runflat-Systeme dafür sorgen müssen, dass die Fahrzeuge weiterbewegt und zur Reparatur gebracht werden können.
In diese Kategorie fallen auch Bridge-stones „Drive Guard“-Reifen, die selbst bei totalem Luftverlust noch eine Weiterfahrt mit 80 km/h über eine Distanz von bis zu 80 Kilometern ermöglichen. Darüber hinaus entwickelt auch Bridgestone intelligente sowie komplett luftfreie Reifenkonzepte, darunter auch Fahrradreifen ohne Plattfuß, die gemeinsam mit Bridgestone Cycle entwickelt wurden. Die hohe Flexibilität bei der Konstruktion durch Harz ermöglichte auch Vorschläge für Fahrräder künftiger Generationen, die vor allem für Leih- und für Lastenradflotten interessant sein könnten. Bei Goodyear heißen die neuesten Entwicklungen EfficientGrip Performance und Electric Drive Technology. Goodyear hat in Tests ermittelt, dass herkömmliche Reifen auf Elektroautos wegen des direkt wirkenden Drehmoments von Elektromotoren und des zusätzlichen Fahrzeuggewichts durch schwere Akkus bis zu 30 Prozent schneller verschleißen. Darum führt man sukzessive die neue Electric Drive Technology ein, die „eigens für die speziellen Anforderungen dieses wachsenden Fahrzeugsegments entwickelt wurde“, wie Jürgen Titz, Vorsitzender der Geschäftsführung D-A-CH bei Goodyear, erklärt.
Ein spezielles Laufflächendesign mit schmalen Lamellen in der Lauffläche soll die Laufleistung steigen lassen. Und auch bei Goodyear geht man das Thema Geräusch an: Das Profildesign soll verhindern, dass Schallwellen in die Rillen eindringen, was die Reifengeräusche verringern soll. Die Materialeigenschaften der Laufflächenmischung wurden so optimiert, dass der Reifen einen extrem niedrigen Rollwiderstand erhält. Das soll auch die Reichweite steigern. Interessant ist, dass Aerodynamik jetzt auch am Reifen wichtiger wird: Neue Seitenwände sollen weniger Luftwiderstand erzeugen.
Dass auch Reifen „smart“ werden, überrascht nicht. Noch immer gibt es Reifenplatzer – die aber seltener werden, seit Reifendruckkontrollsysteme im Auto verbindlich vorgeschrieben sind. Die waren eigentlich nur der Anfang einer Entwicklung, die jetzt richtig Fahrt aufnimmt: die Entwicklung hin zu smarten Reifen. Und die sollen die Straße förmlich „lesen“ können, wenn es nach dem Willen von Conti und Co. geht. Die Hannoveraner haben den Vorteil, als Reifensparte Teil eines Zulieferers zu sein, der sich auch mit ganz anderen Themen beschäftigt und gerade zusammen mit Vodafone an einem „digitalen Schutzschild“ für alle Verkehrsteilnehmer arbeitet. Die Stichworte sind einmal mehr 5G, V2X, Mobile Edge Computing und künstliche Intelligenz. Letztere sollen eben auch die Reifen besitzen. Deshalb arbeiten die Experten von Continental jetzt unter anderem an der Vorhersage und Beherrschung des Risikos von Aquaplaning. Ihr Ziel ist es, ein potenzielles Aufschwimmen der Vorderräder so früh wie möglich zu erkennen, um den Fahrer rechtzeitig warnen zu können. Mithilfe der Informationen von Surround-View-Kameras und von im Reifen montierten eTIS-Sensoren (Electronic-Tire Information System) soll der Fahrer rechtzeitig gewarnt werden, bevor er „ins Schwimmen“ gerät. Sollte das trotzdem passieren, will Continental die Aquaplaning-Folgen über die Steuerung und Stabilisierung des Fahrzeugs etwa durch eine gezielte Bremsmomentverteilung zur individuellen Abbremsung einzelner Räder der Hinterachse in den Griff bekommen, da Aquaplaning auch plötzlich auftreten kann, sodass keine vorherige Warnung möglich ist. Trotzdem wird es wahrgenommen und kann wenigstens noch an andere Fahrzeuge kommuniziert werden, Stichwort Vehicle2Vehicle- oder Vehicle2X-Kommunikation. Durch die V2X-Technologie entsteht eine „Art solidarisches Netzwerk“, bei dem ein Fahrzeug als Sicherheitssensor für alle anderen und nicht nur für diejenigen in unmittelbarer Nähe fungiert. Per V2X oder eHorizon können diese Infos dann potenziell von Aquaplaning betroffenen Fahrzeugen zur Verfügung gestellt werden, damit diese ihre Fahrfunktionen an die Bedingungen anpassen können.
Und wie will Conti Aquaplaning erkennen? Einerseits über die Surround-View-Kameras: Wenn viel Wasser auf der Straße ist, zeigen die Kamerabilder ein spezifisches Spritz- und Sprühmuster, das bereits sehr früh als Aquaplaning identifiziert werden kann. Charakteristisch sei laut Conti zum Beispiel eine übermäßige Wasserverdrängung in alle Richtungen unter dem Reifen. Tatsächlich lieferten die Algorithmen zur Nässeerkennung bei der Vorhersage potenzieller Aquaplaning-Bedingungen in der ersten Testphase des neuen Systems bereits eine sehr hohe Trefferquote. Zusätzlich zu den Kameradaten nutzt Continental auch Informationen von den Reifen selbst. Dabei werden die Signale der eTIS-Sensoren von Continental berechnet. Die sind in die innere Deckschicht des Reifens eingebaut: „Wir verwenden das Signal des Beschleunigungssensors aus dem elektronischen Reifeninformationssystem eTIS und suchen dies nach einem spezifischen Signalmuster ab“, erläutert Andreas Wolf, Leiter des Geschäftsbereichs Body & Security bei Continental. Ein Reifenmodell verarbeitet dann die eingehende radiale Beschleunigung des Reifens, der in Kontakt mit der Straße ist.
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Der Reifen kann künftig tatsächlich die Straße „lesen“!
Und wie muss man sich das in der Praxis vorstellen? Auch hier arbeitet Conti wieder mit optischer Erkennung: Bei nassen Straßen – wenn genug Wasser aus dem Profil herausbefördert wird, um sicheren Grip zu gewährleisten – zeigt das Signal ein charakteristisches Muster. Sobald sich im Bereich vor der Reifenaufstandsfläche ein Wasserkeil zu bilden beginnt und sich übermäßig viel Wasser auf der Fahrbahnoberfläche befindet, beginnt das Beschleunigungssignal auf charakteristische Weise zu oszillieren und zeigt so ein Aquaplaning-Risiko frühzeitig an. Da der eTIS-Sensor auch das Restprofil des Reifens erkennen kann, lässt sich anhand dieser Daten eine sichere Geschwindigkeit für einen bestimmten nassen Fahrbahnzustand berechnen und an den Fahrer weiterleiten. Versuche haben gezeigt, dass die Aquaplaning-Assistenz künftig auch das Potenzial haben wird, in tatsächliche Aquaplaning-Situationen einzugreifen, indem die Hinterradbremsen kontrolliert betätigt werden, um ein gewisses Maß an Bremsmomentverteilung zu erzeugen und so die Manövrierbarkeit und Stabilität des Fahrzeugs innerhalb der physikalischen Grenzen zu halten. Aber Conti hat noch weitere Ideen, wie man die schwarzen Rundlinge aufschlauen könnte. Sie wurden unter den Namen ContiSense und ContiAdapt erstmals auf der IAA 2017 in Frankfurt in einer Reifenstudie präsentiert. Für ContiSense entwickelte man leitfähige Gummimischungen, die den Austausch elektrischer Signale zwischen einem Sensor im Reifen und einem Empfänger im Auto ermöglichen. Gummibasierte Sensoren messen kontinuierlich Profiltiefe und Temperatur. Beim Über- oder Unterschreiten definierter Grenzwerte wird der Fahrer sofort informiert. Ein möglicher Profildurchstich schließt einen Stromkreis im Reifen und löst ebenfalls eine sofortige Meldung an den Fahrer aus – schneller als bislang genutzte Systeme, die erst dann warnen, wenn der Fülldruck bereits nachlässt. Die Technologie ContiSense wird künftig um zusätzliche Sensoren erweitert, die auch einzeln zum Einsatz kommen können. So können auch Informationen über die Fahrbahn wie Temperatur oder Schnee künftig vom Reifen direkt „erfühlt“ und an den Fahrer weitergegeben werden.
Die Daten können an die Fahrzeugelektronik oder auch per Bluetooth an ein Smartphone übermittelt werden. Denkbar wäre auch das „Erkennen“ oder „Auslesen“ verschiedener Fahrbahnoberflächen. Etwas Mechanik ist dann bei ContiAdapt nötig: Dabei kombiniert man im Rad integrierte Mikro-Kompressoren zur Änderung des Reifenfülldrucks mit einer Felge, die man in der Breite einstellen kann. Dadurch verändert sich die Reifenaufstandsfläche, die bei unterschiedlichen Straßenbedingungen entscheidend für Sicherheit und Komfort ist. Vier Kombinationen erlauben eine perfekte Einstellung auf nassem, unebenem, rutschigem und normalem Untergrund. Eine verkleinerte Aufstandsfläche mit hohem Fülldruck bietet beispielsweise einen niedrigen Rollwiderstand und energieeffizientes Fahren auf trockenen, ebenen Strecken. Eine vergrößerte Aufstandsfläche mit geringerem Reifenfülldruck schafft idealen Grip auf rutschigem Untergrund. Auch ist ein sehr niedriger Fülldruck von unter einem bar einstellbar, um das Fahrzeug sicher aus tief verschneiten Parklücken oder einem Gefahrenbereich mit Blitzeis zu fahren. In einem Konzeptreifen wurden beide Technologien vereint und das Ganze mit einem speziellen Design versehen. Das bietet drei unterschiedlich profilierte Bereiche für die Fahrt auf nassem, rutschigem und trockenem Untergrund. Je nach Fülldruck und Felgenmaulweite werden unterschiedliche Profilzonen aktiviert; der Konzeptreifen nimmt so den jeweils nötigen „Fußabdruck“ an und die Reifeneigenschaften passen sich so an die jeweilige Straßenbedingung oder an die Ansprüche des Fahrers an.
Aber auch in der Fertigung geht Continental neue Wege und hat mittlerweile eine Möglichkeit gefunden, Kautschuk aus Löwenzahn zur Reifenerzeugung zu nutzen, was unter dem Label „Taraxagum“ läuft. Dazu wurde in Anklam eine Forschungseinrichtung, das Taraxagum Lab, aufgebaut. Mittelfristig werden dort rund 20 Mitarbeiter ab dem Herbst mit dem Aufbau von Maschinen und ersten Versuchen für die Weiterverarbeitung von Russischem Löwenzahn beschäftigt sein. Hier forscht auch Michelin intensiv und warf auf dem Mobilitätsgipfel Movin’On einen Blick in die Zukunft der nachhaltigen Reifenproduktion. Denn bis 2048 wollen die Franzosen ihre Reifen zu 80 Prozent aus nachhaltigen Materialien fertigen. Außerdem sollen zu diesem Zeitpunkt sämtliche Reifen aus eigener Produktion komplett recycelt werden. Hierzu wird das Unternehmen verstärkt in Hightech-Recycling-Technologien investieren. Aktuell beträgt der Anteil nachhaltiger Materialien bei der Produktion 28 Prozent, wovon mit 26 Prozent der überwiegende Teil aus nachwachsenden Rohstoffen stammt. Hierzu zählen beispielsweise Naturkautschuk, Sonnenblumenöl und die in einer Vielzahl pflanzlicher Öle enthaltenen Limonen. Weitere zwei Prozent stellen bereits recycelte Stoffe wie Stahl und Gummipulver aus Altreifen. Auch Michelin testet ungewöhnliche Rohstoffe: Synthetischer Kautschuk kann auch aus Biomasse, wie Holz, Stroh oder Rüben, erzeugt werden.
Außerdem bringt natürlich auch Michelin seinen Reifen Intelligenz bei: Mit der bei Movin’On 2017 erstmals vorgestellten Rad-Reifen-Studie „Michelin Visionary Concept“ zeigte man bereits, wie Reifen der Zukunft aussehen könnten.
Zu den speziellen Merkmalen des zu 100 Prozent recycelbaren und vernetzten Konzeptreifens gehört die jederzeit per 3D-Printverfahren erneuerbare und biologisch abbaubare Lauffläche. Auch hier denkt man wie bei Conti über verschiedene Anforderungsmodi nach: Bei Michelins Konzept lässt sich das Profil ohne Reifenwechsel je nach Witterungs- und Straßenverhältnissen per Tastendruck als Sommer-, Winter- oder Offroadreifen konfigurieren. Deutlich reeller, allerdings vorerst für die wenig ökologische Nische des Rennsports konzipiert ist dagegen die erste voll vernetzte Lösung für die Reifenüberwachung, die Michelin unter dem Namen „Track Connect“ präsentiert hat.
Bei Michelin können die Pneus Luftdruckempfehlungen geben
Dabei sammeln die Pneus über integrierte Sensoren Temperatur- und Luftdruckdaten. Die werden mit bereits vorher eingegebenen Werten zu Rennstrecke, Straßen- und Witterungsverhältnissen kontinuierlich abgeglichen und signalisieren dem Fahrer bei Bedarf die Anpassung des Luftdrucks, um seine Performance weiter zu steigern. Die Daten verarbeitet ein leistungsstarker Prozessor, der die in Echtzeit aufbereiteten Infos aufs Smartphone des Fahrers überträgt und übersichtlich über eine spezielle App darstellt. So erhält man relevante Informationen zu seinen Fahrten, den Strecken, seinen Fahrzeugen und dem persönlichen Fahrerprofil. Ein System, das in einem weiteren Step auch für Flotten hochinteressant sein könnte.
Extreme Ideen zum Thema Reifen der Zukunft hat auch Hankook, wie man zur Pkw-IAA 2017 sehen konnte: Mit Studenten entwickelte man extreme Konzepte und beschränkte sich dabei nicht nur auf den Reifen, sondern dachte gleich komplette Mobilitätssysteme mit, die hochintelligente und (auch mechanisch) flexible Pneus benötigen. Darunter der „Flexup“, der Treppen steigen kann, das Konzept „Autobine“ für den ÖPNV oder verschiebbare Reifenflächen, um zum Beispiel Polizeiautos schnelle Richtungswechsel in Innenstädten zu erlauben.
Und die könnte man theoretisch umsetzen. Denn Hankook hat sich mit 75 Prozent an Model Solution Ltd., einem Unternehmen für digitale Prototypen, beteiligt. Model Solution entwickelt und fertigt Prototypen und Formen für IT-Ausrüstung wie beispielsweise elektronische und medizinische Geräte. Seit 2007 bietet das Unternehmen Lösungen im Bereich digitaler Prototypen an und betreut derzeit 420 Kunden weltweit. Und in Sachen Design und Prototyping könnte Model Solution tatsächlich auch umsetzen, was Hankook plant. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung von Kompetenzen, wie dem 3D-Druck, konnte sich der Hersteller zu einem der Marktführer in der Prototypenbranche entwickeln. Durch Fusionen und Übernahmen von Hightech-Unternehmen erhofft Hankook neues Wachstumspotenzial und setzt auf eine Verzahnung mit bestehenden Kooperationen: Durch die Kombination des Know-how von Model Solution mit den Verarbeitungstechniken der Hankook Tire-Tochtergesellschaft M&K Technology, einem großen Werkzeughersteller, maximiert Hankook Synergieeffekte.
Doch auch Hankook nutzt die Studien, um zu zeigen, wie „breit“ das Thema Reifen prinzipiell gedacht werden kann, bevor uns Martin Winkler, leitender Entwicklungs-Ingenieur bei Hankook, wieder zurückholt in die Realität: Und da fordert die Elektromobilität komplett neue Ansätze – vor allem, was die Themen Rollwiderstand und Geräuschentwicklung angeht. Um ersteren zu reduzieren, braucht es tendenziell schmale Formate mit großen Durchmessern. Außerdem lassen die leisen Elektroantriebe die Reifengeräusche lauter erscheinen als bei Verbrennern. Auch sollten die Pneus möglichst leicht sein, was laut Winkler aber die sogenannten Kavitätsschwingungen im Reifen verstärken kann – das ist die Schwingung der Luft im Reifeninneren. Und da E-Mobile ihre Kraft „impulsiver“ entfalten als Verbrenner, braucht man eigentlich eher mehr als weniger Auflagefläche.
Dazu kann man die Profiltiefe reduzieren, was aber zu Lasten der Lauf- und Verschleißeigenschaften geht. Gleiches gilt für höhere Drücke, weshalb man für Elektroautos zunehmend neue Formate entwickelt, zum Beispiel 245/45R21 für den VW I.D. Crozz. Und natürlich tüftelt auch Hankook längst am „intelligenten“ Reifen, der per Sensorik mit dem Fahrer und der Umwelt kommuniziert, wozu man auch mit Chipherstellern kooperiert. Großes Augenmerk legt man dabei auch auf das autonome Fahren, bei dem Runflat-Systeme dafür sorgen müssen, dass die Fahrzeuge weiterbewegt und zur Reparatur gebracht werden können.
In diese Kategorie fallen auch Bridge-stones „Drive Guard“-Reifen, die selbst bei totalem Luftverlust noch eine Weiterfahrt mit 80 km/h über eine Distanz von bis zu 80 Kilometern ermöglichen. Darüber hinaus entwickelt auch Bridgestone intelligente sowie komplett luftfreie Reifenkonzepte, darunter auch Fahrradreifen ohne Plattfuß, die gemeinsam mit Bridgestone Cycle entwickelt wurden. Die hohe Flexibilität bei der Konstruktion durch Harz ermöglichte auch Vorschläge für Fahrräder künftiger Generationen, die vor allem für Leih- und für Lastenradflotten interessant sein könnten. Bei Goodyear heißen die neuesten Entwicklungen EfficientGrip Performance und Electric Drive Technology. Goodyear hat in Tests ermittelt, dass herkömmliche Reifen auf Elektroautos wegen des direkt wirkenden Drehmoments von Elektromotoren und des zusätzlichen Fahrzeuggewichts durch schwere Akkus bis zu 30 Prozent schneller verschleißen. Darum führt man sukzessive die neue Electric Drive Technology ein, die „eigens für die speziellen Anforderungen dieses wachsenden Fahrzeugsegments entwickelt wurde“, wie Jürgen Titz, Vorsitzender der Geschäftsführung D-A-CH bei Goodyear, erklärt.
Ein spezielles Laufflächendesign mit schmalen Lamellen in der Lauffläche soll die Laufleistung steigen lassen. Und auch bei Goodyear geht man das Thema Geräusch an: Das Profildesign soll verhindern, dass Schallwellen in die Rillen eindringen, was die Reifengeräusche verringern soll. Die Materialeigenschaften der Laufflächenmischung wurden so optimiert, dass der Reifen einen extrem niedrigen Rollwiderstand erhält. Das soll auch die Reichweite steigern. Interessant ist, dass Aerodynamik jetzt auch am Reifen wichtiger wird: Neue Seitenwände sollen weniger Luftwiderstand erzeugen.
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