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Prof. Ellen Enkel im Interview: „Man muss nicht groß, sondern smart sein!“

Im Interview äußert sich die Mobilitäts-Professorin zur Transformation der Branche und warum diese nicht so schnell vorangehen kann, wie es vielleicht nötig wäre.

Prof. Ellen Enkel Bild: Uni Duisburg Essen
Prof. Ellen Enkel Bild: Uni Duisburg Essen
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Gregor Soller

Durch die Corona-Pandemie scheinen die IT-Unternehmen als klare Gewinner hervorzugehen, während die „klassische (Automotive-) Industrie weiter an Boden verlieren zu scheint. Kann dieses Aufholrennen überhaupt noch gewonnen werden oder stehen wir bereits an der Wende bekannter Geschäfts- und Mobilitätsmodelle?

Ellen Enkel: Der aktuell herausragende Stellenwert der IT-Branche ist aktuell der Corona-Pandemie geschuldet. Diese hat in der Corona-Krise am wenigsten verloren, was aber auch damit zu tun hat, dass wir aktuell zwangsweise viel stärker digitale Kommunikationsmöglichkeiten nutzen müssen. Das hat nichts mit den Geschäftsmodellen der Autoindustrie zu tun. Die IT-Branche gehört zu den Vorreitern digitaler Geschäftsmodelle und hat schon sehr früh erkannt, dass man Plattformen mit hoher Flexibilität schaffen muss.

Als Beispiel nehme ich hier immer gern Amazon, eine Plattform, die jeder kennt. Was tat Amazon, um Erfolg zu haben? Sie schufen einen großen Marktplatz, auf dem die Kunden alles finden, was sie benötigen. Und sie haben es den Kunden überlassen, was sie benötigen. Wichtig sind dabei zwei Dinge: Erstens muss der Kunde wirklich alles finden, was er braucht, und zweitens muss ich erste Anlaufstelle für den Kunden sein.

Wie würden Sie dieses Modell auf die Mobilität übertragen?

Ich muss auch hier eine Plattform schaffen, die mir alles anbietet – vom ÖPNV über Scooter für die letzte Meile bis hin zu Cabrios oder Vans für Ausflüge oder Umzüge am Wochenende, idealerweise vielleicht sogar mit einer Flatrate. Doch das machen die Autohersteller noch nicht, weil sie weiter in ihrer Markenwelt leben und sich hier zu differenzieren suchen.

Aber es gab doch schon erste Ansätze, das zu ändern. Nur leider ist damit meist kein Geld verdient worden.

Das ist richtig. Trotzdem glaube ich, dass die Zukunft den Anbietern gehört, die ihren Kunden ein möglichst umfassendes Mobilitätsangebot bereitstellen können. Und dazu muss ich, auch das lehrt uns Amazon, nicht unbedingt Hersteller eines Produktes sein.

Amazon und Co. können auf Veränderungen und neue Trends viel schneller reagieren – brauchen aber zur physischen Umsetzung Industrien, die Fahrzeuge und Infrastruktur her- und bereitstellen. Werden klassische Anbieter und Kommunen hier künftig in die Rolle eines White-Label-Anbieters respektive Dienstleisters gedrängt?

Genau das ist dann die Konsequenz. Wenn die Plattform erstarkt, kann sie eines Tages so mächtig werden, dass der Plattformbesitzer den anbietenden Unternehmen dann diktiert, wie sie zu agieren haben. Und da sehe ich gerade eine Bedrohung für die Autoindustrie, die aktuell auf einen Unfall zuzusteuern scheint, ohne vom Gas zu gehen. Als warnendes Beispiel können sie hier auch Kodak nehmen: Kodak erfand die Digitalfotografie, machte aber nichts daraus und blieb bei seinen alten Geschäftsmodellen. Ich sehe immer noch nicht, dass die Automotive-Industrie groß in neue Konzepte investiert, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Aber warum ist das so?

Ich zitiere hier immer gern Konfuzius, der gesagt hat: „Erfolg ist ein schlechter Lehrer“. Genauso ist es mit der Autoindustrie, die mit ihren etablierten Geschäftsmodellen in den letzten Jahrzehnten sehr gut verdient hat. Das bedingt eine Pfadabhängigkeit. Und dann ist da noch das Thema, dass man glaubt, man sei zu groß, um zu fallen. Man hat Geschäftsmodelle, Technik, Vertrieb und damit auch Mauern errichtet, die all das schützen.

Aber es gibt doch auch hier schon warnende Beispiele zum Beispiel aus der britischen Autoindustrie, die das auch dachte und de facto unabhängig gar nicht mehr existiert.

Wenn sie die größten Unternehmen der letzten 20 Jahre vergleichen, sind von den Top-100-Unternehmen der Welt mittlerweile mehr als die Hälfte verschwunden! Man muss nicht groß, sondern smart sein!

Glauben Sie an disruptive Veränderungen in der Mobilität? Oder zeichnet sich hier nicht auch eine schleichende Transformation ab, da viele Entwicklungen doch zu teuer, zu langwierig oder zu komplex sind?

Die Transformation der Autoindustrie geht meines Erachtens nach zu langsam voran. Natürlich ist man hier stark vom Markt getrieben und stellt in erster Linie Produkte her, die man auch verkaufen kann, Stichwort E-Mobilität. Die Regierung sieht das aktuell genau andersherum: Sie möchte viel schneller voranschreiten und Angebote darstellen, die eine Nachfrage erzeugen. Das ganze Szenario befindet sich gerade in einer Patt-Situation, die wir wieder auflösen müssen, um voranzuschreiten. Denn ich glaube, dass wir eine schnelle Transformation brauchen, sonst besteht die Gefahr, dass die heute noch großen und starken Player untergehen könnten.

Können sie jetzt schon erste Auswirkungen veränderten Mobilitätsverhaltens erkennen oder in Studien nachweisen?

Wir haben gerade eine Studie fertig, wo es um die TCO-Kosten für Fahrzeuge geht. Was mich überrascht hat ist, dass Elektromobilität keineswegs billiger ist, als mit Verbrennern zu fahren, denn die Stromkosten sind zu hoch. Und es braucht zusätzlich Infrastrukturkosten und Plugs, die bei Verbrennern nicht nötig sind. Außerdem ist sie für viele Nutzer immer noch umständlicher im Handling. Ein Produkt, dass nicht günstiger oder bequemer ist, nur mit Umweltbewusstsein zu fördern, wird schwierig. Denn das Umweltbewusstsein geht immer nur soweit, wie ich es mir leisten kann. Und hier glaube ich, dass wir das Pferd immer noch von hinten aufzäumen: Für den Normalbürger ist es immer noch nicht attraktiv genug, elektrisch zu fahren. Zumal wir hier bezahlbaren grünen Strom brauchen, sonst macht der ganze Umstieg keinen Sinn.

Wie sähe Ihrer Meinung nach die ideale Mobilität 2025 aus – unter realistischen Annahmen?

Idealerweise hat der Kunde eine große Auswahl, um flexibel reagieren zu können, vielleicht mit einem Flatrate-Modell ähnlich Netflix. Dann überlässt man es auch dem Kunden, was sich durchsetzt. Je mehr unterschiedliche Plattformen zur Verfügung stehen, desto besser. Aktuell können wir das beim Mediastreaming verfolgen, wo viele Dienste ähnliche Grundangebote bieten, wir dann aber je nach unseren Bedürfnissen den einen oder anderen Anbieter bevorzugen. Und, für die Nutzer natürlich ganz wichtig, sind möglichst geringe Transaktionskosten. Die Anbieter können hier auch aus anderen Bereichen stammen, zum Beispiel dem Servicebereich oder dem Flottenmanagement. Davon können alle profitieren.

Inwiefern?

Auch hier bemühe ich wieder die Analogie zu Amazon. Durch die Marktmacht kann Amazon auch neue Bücher im Eigenverlag anbieten, was die Vielfalt für Autoren und Leser erhöht. Die Autoren erhalten ein Buchkit und können selbst als Verleger aktiv werden. So haben sie über die Plattform direkt Zugang zu ihren Kunden und wenn ihr Werk gut ist, werden sie daran verdienen und wenn nicht, dann eben nicht. Ähnlich müsste eine Mobilitätsplattform auch agieren.

Zum Abschluss noch die Frage: Welchem der Themen räumen Sie die größeren Durchbruchchancen ein: Der emissionsfreien Mobilität oder dem autonomen Verkehr? Angeblich bedingt Letzteres ja Ersteres?

Emissionsfreier Verkehr wird kommen, aber nicht in den nächsten fünf Jahren. Die Infrastruktur ist noch nicht soweit. Hier muss noch viel getan werden, wobei das gar nicht so sehr an der Technologie liegt. Ich bin ein großer Fan von „Nicht-Technologischen Innovationen“. Denn aktuell verhindert nicht fehlende Technologie den Fortschritt, sondern unser Hauptfokus: Und das ist der Krisenmodus, in dem wir uns gerade befinden. Doch wie gesagt, ich glaube fest daran, dass wir eines Tages emissionsfreien Verkehr haben werden! Hier kann auch branchenübergreifend gelernt werden, weshalb wir unser Institut an der Universität Duisburg-Essen jetzt auch von „Car“ in „Motion“ umbenannt haben, was sich aus den Begriffen Mobilität und Transformation zusammensetzt.

Und um noch kurz auf das Thema „autonomes Fahren“ zurückzukommen: Dieses wird gerade in der Schifffahrt massiv forciert. Man kann also in verschiedenen Sektoren auf die gleichen Techniken zurückgreifen und sich hier auch interdisziplinär mit meinen Kollegen am Motion Institut austauschen. Das beschleunigt die Transformation enorm. Ich freue mich jedenfalls auf alle neuen Entwicklungen, die da noch kommen werden!

Das Interview führte Gregor Soller, 
Chefredakteur VISION mobility.

Zur Person

Prof. Dr. phil. Ellen Enkel studierte Biologie, Pädagogik und Theologie an den Universitäten Bielefeld und Paderborn. Im Abschluss promovierte sie in Wirtschaftspädagogik und schloss 2003 mit summa cum laude an der Universität Bielefeld ab. Mit ihrer Dissertation „Identifikation von Kernkomponenten in Wissensnetzwerken“ erwarb sie den akademischen Titel des Dr. phil. Seit 1999 forschte sie an der Universität St. Gallen/Schweiz, zunächst am Institut für Wirtschaftsinformatik und am Institut für Betriebswirtschaftslehre, zum Thema Wissensnetzwerken innerhalb und zwischen Unternehmen.

2008 wurde sie Professorin für Innovationsmanagement an der Zeppelin Universität Friedrichshafen berufen und leitete dort bis 2020 das Dr. Bischoff Institut für Innovationsmanagement von Airbus. Hier forschte sie mit ihrem Team an kollaborativen Geschäftsmodellen und Digitalisierung vor allem in der Automobil- und Luftfahrtindustrie. Prof. Enkel gründete und leitete seit 2011 den Exekutive Master Digital Pioneering an der Zeppelin Universität, der sich der Ausbildung von Mitarbeitern in der Entwicklung und Optimierung von digitalen Geschäftsmodellen aus technologiebasierten Unternehmen, vor allem IT und Mobilitätsindustrien, widmet.

2020 folgte sie Prof. Ferdinand Dudenhöffer auf die W3 Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Mobilität an der Fakultät für Ingenieurswissenschaften an die Universität Duisburg-Essen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind offene Innovationsprozesse, digitale Geschäftsmodelle, Plattformen und Ökosysteme in der Mobilitätindustrie.

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Artikel Prof. Ellen Enkel im Interview: „Man muss nicht groß, sondern smart sein!“
Seite 50 bis 52 | Rubrik konnektivität
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