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Pods auf der CES: Fahren Sie noch oder wohnen Sie schon?

In den USA wird das autonome Fahren respektive Gefahren-werden viel optimistischer betrachtet und stärker forciert als in Europa, weshalb auf der CES wieder zahlreiche Pods präsentiert wurden – mit sehr realen, aber auch sehr abgefahrenen Ansätzen. (Von Gregor Soller, Johannes Reichel und Thomas Kanzler)

Nicht nur horizontal, sondern auch vertikal: Der Pod von Italdesign „hängt“ direkt an der Wohnung im x-ten Stockwerk als Zusatzraum oder als Lift – bereit zur Abfahrt. Bild: Italdesign
Nicht nur horizontal, sondern auch vertikal: Der Pod von Italdesign „hängt“ direkt an der Wohnung im x-ten Stockwerk als Zusatzraum oder als Lift – bereit zur Abfahrt. Bild: Italdesign
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Thomas Kanzler

Der Übergang zwischen Mobilie und Immobilie ist bei den Pods fließend, wie unsere ersten „Sitz- und Wohnproben“ auf der CES ergaben. Wir beginnen mit Italdesigns Studie Climb-E in der North Hall, die sich hier ganz weit aus dem Fenster lehnt – oder besser gesagt: inhaltlich ganz neue Höhen erklimmt, was in dem Fall durchaus wörtlich zu nehmen wäre. Denn sie vereint Design, Architektur und Technik in einem innovativen Mobilitätskonzept.

Dabei haben die italienischen Designer bei der vertikalen Mobilität mit dem Aufzugsunternehmen Schindler zusammengearbeitet. Für die architektonische Integration zeichnet sich das Politecnico di Torino verantwortlich und Easyrain kümmerte sich bei der Studie um das Sicherheitsökosystem. Die Kabine ist als modulares Element vielseitig nutzbar.

Die Kabinenstruktur des Climb-E kann auf eine vollelektrische Plattform, „Skid“ genannt, gestellt oder für längere Fahrten an verschiedene Arten von Trägern angehängt werden. Der untere Teil der Karosserie besteht aus Verbundwerkstoff, der obere Teil verfügt über große Glasflächen, die zur Wahrung der Privatsphäre vollständig verschlossen werden können. Schwenktüren mit Sensoren und integrierten LED-Bildschirmen ermöglichen uns einen einfachen Zugang zum Innenraum, sodass auch Menschen mit Mobilitätseinschränkungen leicht ein- und aussteigen könnten. Auf dem Dach ist ein Vier-Punkt-Befestigungssystem verbaut. Ein von Schindler entwickeltes Hebesystem ermöglicht dem Climb-E, sich vertikal zu bewegen und auf Gebäude zu „klettern“.

Climb-E kann auch „nur“ zusätzlicher Wohnraum sein

In der Standardkonfiguration kann Climb-E vier Passagiere befördern, wobei sich der Innenraum in verschiedene Räume verwandeln lässt, was wir leider nur virtuell erleben konnten. Unter den zahllosen Möglichkeiten bietet der Climb-E laut Italdesign „medizinische Assistenzdienste, telemedizinische Analysen, Zahnpflege, Catering, Kochdienste, Hausmassagen, den Verkauf verschiedener Produkte, Tierarzt- und Tierpflegedienste“ und bringt so alles direkt vor die Haustür oder an den Arbeitsplatz. Die Besitzer könnten Climb-E zu Hause auch als Erweiterung ihres Wohn- oder Schlafzimmers oder am Arbeitsplatz als zusätzlichen Besprechungsraum oder privaten Gesprächsbereich nutzen. Die abnehmbare, elektrische und autonome Plattformbasis ist nicht für den Privatgebrauch, sondern für die gemeinsame Nutzung bestimmt. Sie bietet Allradlenkung und -antrieb und integriert die Elektromotoren, das Lithium-Ionen-Batteriepaket, die Beleuchtungseinheiten, die Sicherheitssysteme sowie Bodenprojektionsgeräte und einen 43-Zoll-Bildschirm auf jeder Seite für die Kommunikation mit Fußgängern und anderen Verkehrsteilnehmern. Laut Italdesign könnte Climb-E bis zu 322 Kilometer weit fahren und mit induktiven Ladegeräten in 15 Minuten zu 80 Prozent geladen werden.

Das Fahren sicherer machen soll das „Easyrain-Sicherheitsökosystem“: Es soll einen möglichen Verlust der Bodenhaftung auf nasser Fahrbahn erkennen und wiederherstellen. Die cloudbasierte Software Digital Aquaplaning Information (DAI) erkennt eine gefährliche Situation. Dann sprüht das Aquaplaning-Intelligent-Solution (AIS)-System einen kontrollierten Wasserstrahl durch vier Injektoren, bevor die Vorderräder die nasse Oberfläche berühren. Es soll durch Wasser das Aquaplaning verhindern, indem der Wasserstrahl das Aufschwimmen vermeidet. Künftig soll das System noch weiter ausgebaut werden, um den Verlust der Bodenhaftung bei Schnee und Eis zu unterbinden.

Während sich die Integration des Climb-E derzeit auf „zivile und Wohngebäude der nächsten Generation und der Zukunft“ beschränkt, arbeitet Italdesign an einer Ausweitung auf das „aktuelle und historische architektonische Erbe“. Unsere Nachfrage nach realen Einsätzen beantwortete man allerdings zurückhaltend: Climb-E sei eine reine Designstudie „im Rahmen der Forschung für innovative Mobilitätslösungen“.

Benteler Mover: Eingekleidet in elegantem Pininfarina-Design

Wir ziehen weiter. Auch Pininfarina hat einen Pod gestaltet, der allerdings deutlich realitätsnäher ist: der Mover für Holon, die neue Tochter der Benteler-Gruppe. Er soll der weltweit erste autonome Pod nach Automobilstandards sein. Er verkehrt autonom mit maximal 60 km/h und soll bis zu 290 Kilometer weit kommen. Marco Kollmeier, Geschäftsführer von Holon, sieht in ihm nicht weniger als „eine Antwort auf gesellschaftliche Megatrends“ wie Urbanisierung, Klimawandel und Demografie. Und stellt fest: „Mobilität muss sich verändern.“

Einsatzgebiete wären „On-Demand“-Angebote – wie Ridepooling und Ridehailing –, aber auch der ganz normale Linienverkehr. Das erste Pilotprojekt ist bereits avisiert: in Deutschland mit der Hamburger Hochbahn. In den USA soll Mobilitätsanbieter Beep für die Implementierung der ersten Fahrzeuge verantwortlich sein. Als weitere Anwendungsbereiche und damit Kunden kommen private Einrichtungen wie z.B. Campus, Flughäfen oder Nationalparks hinzu. Ausgelegt ist der Mover für bis zu 15 Fahrgäste und schließt damit die Lücke zwischen privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln. Silvio Pietro Angori, CEO des renommierten italienischen Designunternehmens Pininfarina, erklärt, dass der Mover von Grund auf inklusiv gestaltet wurde: mit elektrischen Doppelflügeltüren samt Türlichtschranken und automatisch ausfahrbarer Rampe sowie einer serienmäßigen Absenkfunktion für barrierefreien Zugang. Die automatische Fixierung von Rollstühlen im Fahrzeuginneren verbindet Komfort mit Sicherheit. Hinweise in Blindenschrift und ein audiovisueller Guide unterstützen sehbehinderte Menschen zusätzlich während der Fahrt.

Neben Pininfarina und Mobileye entwickelte auch der Elektronik- und IT-Spezialist Cognizant Mobility den Mover mit. Der Produktionsstart für den Mover ist für Ende 2025 in den USA geplant. In den folgenden Jahren sollen weitere Produktionskapazitäten in Europa sowie dem Mittleren Osten/Asien entstehen. Die besonders flexible Plattform-Architektur ermögliche es, zeitnah außerdem weitere Varianten auf den Markt zu bringen – sowohl für den Personentransport als auch für Cargo-Anwendungen. Besonders die Zustellung auf der letzten Meile sieht man als ein Einsatzgebiet.

ZF will die Lücke zwischen Bus und On-Demand-Van schließen

Auch ZF „shuttelt“ weiter – in der West Hall schräg gegenüber von Hyundai Mobis und neben Magna. Der ZF-Pod parkte hier mit Lidar-, Radar-, Kamera- und Geräuscherkennungssystemen, die eine präzise Umfelderkennung garantieren sollen. Dazu packt ZF die Konnektivitätsplattform ZF ProConnect, die eine Kommunikation mit der Verkehrsinfrastruktur und der Cloud ermöglicht, sowie den Supercomputer ZF ProAI, in dem die Daten im Fahrzeug zusammenlaufen. „Virtual Driver“, die Software für autonomes Fahren von ZF, verarbeitet alle Informationen und leitet dann mittels künstlicher Intelligenz Fahrstrategien ab, die an die Aktuatorik geleitet werden. Auch an die Sicherheit wurde gedacht: Das System ist mit Redundanzen ausgelegt, um die Funktions- und Handlungsfähigkeit der Fahrzeuge zu gewährleisten, auch wenn eine Komponente ausfallen sollte. Alle Systeme sind laut ZF „Automotive Grade“ zertifiziert.

Mit Akkukapazitäten zwischen 50 und 100 kWh soll das neue E-Shuttle bis zu 130 Kilometer elektrisch zurücklegen. Die Geschwindigkeit ist zunächst auf 40 km/h begrenzt, in der weiteren Entwicklung werden 80 km/h angestrebt. Details zur Antriebstechnik verriet ZF bisher nicht.

ÖPNV-Anbieter als Zielgruppe

Das Shuttle bietet Platz für insgesamt 22 Personen und bis zu 15 Sitzplätze. Kunden können über das Layout von Sitz- und Stehplätzen und das Interieur individuell entscheiden. Damit zielt man vor allem auf Kommunen und Stadtwerke, die hier teils sehr unterschiedliche Konfigurationen, Ausstattungen und Farben bevorzugen. Für Menschen mit Behinderung ist das Gefährt unter anderem mit einer automatischen Rampe ausgestattet. Mit der Vorder- und Hinterradlenkung und „Kneeling“-Funktion verkleinert sich beim Anfahren einer Haltestelle der Abstand zum Gehsteig – auch hier orientiert man sich am bekannten Stadtbus. Damit kann das Shuttle präzise an Haltestellen andocken und einen barrierefreien Ein- und Ausstieg ermöglichen. Mit einer 24/7-Verfügbarkeit könnten autonome ZF-Shuttles emissionsfrei auf definierten Routen betrieben werden. ÖPNV-Betreiber könnten somit Fahrgästen auch bei geringer Nachfrage ein Mobilitätsangebot machen und trotz akutem Fahrermangel Linien ausbauen, hofft ZF. Ein weiteres Thema beim ÖPNV ist Wartung und Reparatur. ZF will hier Partner für den gesamten Lebenszyklus der Shuttles sein. Marco Neubold von ZF Aftermarket erklärt dazu: „Beim Service können sich Kunden auf unser umfangreiches globales Netz mit 20.000 Werkstattpartnern weltweit verlassen.“

Weiter bietet der Zulieferer mit seiner Tochter ZF Mobility Solutions ein komplettes Ökosystem für autonome Transportsysteme: von der individuellen Planung von Fahrstrecken und eingesetzten Shuttles über die Beratung zur benötigten Infrastruktur bis hin zum Lade- und Flottenmanagement. Doch wie schon bei der ersten Generation, wofür man das niederländische Unternehmen 2getthere übernahm, kooperiert man auch diesmal wieder mit einem Partner: Für die neue Shuttle-Generation ist ZF eine strategische Kooperation mit dem US-Mobilitätsdienstanbieter Beep eingegangen. Die Vereinbarung umfasst ein Planungsvolumen von „mehreren Tausend“ Level-4-Shuttle-Fahrzeugen für den Einsatz in bestimmten Gebieten der USA. Konkretes zu Plänen für den Einsatz in Europa oder auf anderen Kontinenten ist allerdings noch nicht bekannt.

Magna liefert per Dreirad aus

Direkt neben ZF hatte Magna seinen kleinen Pod für Delivery Services stehen, wobei es sich hier um ein reines Lieferfahrzeug handelt. Etwas am Rand stand auf einem kleinen Stand der Pod von Zoox, wo man unter dem Motto „built for riders, not for drivers“ wirbt. Auch er punktet mit Schiebetüren und einem cocoonartigen Interieur samt Sternenhimmel. Klar, dass auch Hyundai Mobis seinen „M Vision“ genannten Pod ausstellte und damit einfach demonstrierte, dass man ihn bauen könnte, wenn Bedarf da wäre. Und auch Toyota brachte mit der Tochter Toyota Boshoku wieder zwei Pods nach Las Vegas, unter anderem den „Moox“, den man bereits 2019 zeigte … Doch bisher kam auch Moox noch nicht so recht auf Stückzahlen respektive in Fahrt. Bleibt nur zu hoffen, dass aus all den Fahr- keine Stehzeuge werden und die multifunktionalen Pods eines Tages Immobilien in Museen werden …

Auf den Punkt

Es ist … das Multifunktionstool schlechthin.

Ideal für … viele ÖPNV-Betreiber, Kommunen und ländliche Gemeinden.

Schön, dass … manche Studien hier fast unbegrenzte Anwendungsmöglichkeiten sehen.

Schade, dass … die Technik real betrachtet sehr komplex und teuer ist.

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Artikel Pods auf der CES: Fahren Sie noch oder wohnen Sie schon?
Seite 64 bis 0 | Rubrik infrastruktur
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