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Neu im „Pott“ - die Gondel als Pod

In die Zukunft schweben: Die Cable Car World in Essen bot dafür geerdete Lösungen. (Von Raphael Schmidt)

Bei der Ottobahn fahren auf einem Schienensystem fünf bis sechs Meter über der Straße Gondeln über dem Stadtgebiet. Per App können sie an nahezu jedem beliebigen Ort an Seilen abgelassen und betreten werden. Bild: Ottobahn
Bei der Ottobahn fahren auf einem Schienensystem fünf bis sechs Meter über der Straße Gondeln über dem Stadtgebiet. Per App können sie an nahezu jedem beliebigen Ort an Seilen abgelassen und betreten werden. Bild: Ottobahn
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Redaktion (allg.)

Wie bekommt man Seilbahn- und Mobilitätsspezialisten, die hauptsächlich im alpinen Raum ansässig sind, ins Ruhrgebiet? Man veranstaltet eine hochkarätige Kongressmesse in Essen, die sich komplett dem Thema der urbanen Seilbahn mit dem Fokus auf städtische Mobilität verschrieben hat. Nach den Konsolidierungen der letzten Jahre blieben nur noch wenige globale Player übrig: Zuletzt übernahm die HTI-Gruppe, zu der auch Leitner aus Südtirol gehört, den Schweizer Hersteller Bartholet. Zusammen mit dem Marktführer Doppelmayr/Garaventa Gruppe aus Vorarlberg sind die drei Unternehmen Hauptsponsoren der Veranstaltung, wo sie das zentrale und spannende Mobility Lab als Anlaufpunkt für alle Besucher gemeinsam gestalteten.

Ebene +1 als Weg nach vorne

Warum veranstaltet man einen Seilbahn-Kongress ausgerechnet im Ruhrgebiet? Weil die Erweiterung der urbanen Verkehrswege auf die Ebene +1 eines der Boomthemen im nachhaltigen Städtebau ist. Viele Metropolen platzen verkehrstechnisch aus allen Nähten – der jahrzehntelange Fokus auf den individuellen Pkw-Verkehr bringt mittlerweile mehr Probleme als Nutzen. Darum gelten urbane Seilbahnen vielerorts als Zukunftsperspektive und integrierter Teil von ÖPNV-Systemen, die diese nachhaltig und kostengünstig erweitern und die Straßen in den Städten entlasten können. Weltweit beschäftigen sich immer mehr Städte und Kommunen mit der Errichtung von Seilbahnen – nicht nur zu touristischen Zwecken, sondern um sie nahtlos einzugliedern in vorhandene ÖPNV-Systeme.

In Toulouse ergänzte im Mai 2022 die erste urbane Dreiseilumlaufbahn den ÖPNV (2 Tragseile, 1 Zugseil), die allein durch ihre Trassenführung einen Bruchteil der alternativen Pkw-Reisezeit durch die Stadt ermöglicht. Damit schwebt die Metropole einen großen Schritt nach vorne in Richtung klimafreundlicher, barrierefreier, preiswerter und schnell realisierbarer Mobilität für alle Stadtbewohner. Viele weitere Städte (u.a. Quebec, Haifa, Antananarivo, Oberhausen) planen ähnliche Projekte oder stehen kurz vor Fertigstellung. In Deutschland wird es die erste vollkommen in den ÖPNV integrierte Seilbahn in Bonn geben.

Vorteile in der Planung und bei den Kosten

Für die Seilbahn spricht in vielen Fällen der deutlich kürzere Planungs- bzw. Umsetzungshorizont von circa eineinhalb bis drei Jahren, z.B. im Vergleich bis zu 15 Jahren bei einer neuen U-Bahnlinie (wenn es bei den Bohrungen/Grabungen plangemäß läuft …). Kostenseitig kann man für den Bau über den Daumen gepeilt mit etwa 2,5 Mio. Euro pro Seilbahnkilometer rechnen, während die U-Bahn eher bei 25 Mio. Euro liegt. Durch das Ausweichen in die dritte Dimension müssen bestehende Verkehrsführungen selten angetastet werden, nur die Bahnhöfe respektive Umlenkstationen der Bahnen benötigen Platz und sind wegen des Hochbaus nicht ganz billig. Doch auch dafür gibt es innovative und attraktive Alternativen: Man nutzt Bestandsgebäude! So ging 2021 auf der Insel Kish, Urlaubsparadies und Freihandelszone im Iran, die Bartholet-Seilbahn „KISH-IR-2021“ ans Seil, die auf gut einem Kilometer den vierten Stock einer Shoppingmall mit dem Hafen verbindet und dabei als Verlängerung der angeschlossenen Busstation dient – toller Ausblick auf Strand und Meer inklusive.

Impulse von staatlicher Seite

Auch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), vertreten von Ministerialdirigent Johannes Wieczorek, hob die Relevanz von urbanen Seilbahnen im Städtebau und in der Mobilitätsplanung hervor. Dabei gab es einen ersten Vorgeschmack auf den „Leitfaden zur Realisierung von Seilbahnen als Bestandteil des öffentlichen Personennahverkehrs“. Der wird aktuell durch das Stuttgarter Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE zusammen mit dem Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart GmbH (VWI) im Rahmen des Forschungsprogramms Stadtverkehr erarbeitet. Dabei wurden exemplarisch sechs sogenannte „Überfliegerstädte“ (u.a. München, Oberhausen, Bochum) benannt, die ambitionierte Seilbahnprojekte vorantreiben. Daraus sollen zielgerichtete Impulse kommen, um nachhaltige Mobilität im urbanen Raum zu fördern und die öffentlichen Verkehrssysteme sinnvoll zu ergänzen und zu entlasten. Das große Ziel dahinter ist ein deutschlandweiter Standard sowie übertragbare Planungsgrundlagen für urbane Seilbahnen, an dem sich die Städte und Kommunen orientieren und entsprechende Fördermittel beantragen können.

Das Kongressprogramm mit den Keynotes und Diskussionspanels lieferte oft den Eindruck, dass hier viele Parteien an einem Strang ziehen und dass die Zeit für dieses im Grunde sehr alte Verkehrsmittel jetzt reif ist. Weitreichenden Konsens gab es auch bei den Themen Integration und Anwenderfreundlichkeit. Die müssen verstärkt fokussiert werden, um die Nutzer dauerhaft auf den ÖPNV zu routen. Insgesamt wurde bei vielen Teilnehmern ein Informations- und Visualisierungsbedarf deutlich, um das Thema urbane Seilbahn auch plastisch greifen zu können. Hier konnten spezialisierte Dienstleister und Aussteller wie die FMS, Future Mobility Solutions GmbH, mit ihrem Tool „Virtual City@FMS“ punkten. Damit werden Städte und Kommunen in verkehrstechnischen Fragestellungen beraten, indem innovative Mobilitätskonzepte wie zum Beispiel eine Seilbahn simuliert werden können. Einen ähnlichen Ansatz fahren auch die in Wien angesiedelten HR Innoways mit anschaulichen 3D-Visualisierungen und Anwendungen.

Nahtlos und autonom vom Tragseil in den Straßenverkehr wechseln

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Neu sind Konzepte, die die dritte Ebene mit dem Boden verbinden: So zum Beispiel der UpBus, ein Spin-off der RWTH Aachen. Basis sind Kabinen, die bei der Ankunft an der Bodenstation auf Skateboards aufsetzen und als autonom fahrende Pods im Straßen- oder Schienenverkehr weiterfahren. Hier stieg Branchenriese Doppelmayr ein, um das Konzept mit den Gründern weiterzuentwickeln.

Ein ähnliches Konzept verfolgt Marktbegleiter Leitner mit dem ConnX-Modell: Gondeln, die als Hybridlösung in der Seilbahnstation auf autonome, fahrerlose Untersätze mit Rädern aufsetzen und von dort als E-Mobil weiterfahren. So kann sich das System an unterschiedlichste stadtplanerische Bedürfnisse anpassen und bauliche Hindernisse, wie Denkmäler oder Gebäude einfach umfahren. Im Gegensatz zum UpBus-Konzept, das laut ersten Skizzen bis zu 18 Sitzplätze bieten soll, sind die Leitner-Kabinen für vier bis acht Personen konzipiert. Ein erster fahrbereiter Prototyp wurde Anfang 2022 in Südtirol vorgestellt.

Vielversprechend klingt auch die „Ottobahn“: Auf einem Schienensystem fünf bis sechs Meter über der Straße fahren kleine, im Ausstattungs-Layout individuell gestaltbare Gondeln über dem Stadtgebiet. Per App können sie an nahezu jedem beliebigen Ort, der ein paar Quadratmeter Fläche zum sicheren Zu-/Aussteigen bietet, an Seilen abgelassen, dort ohne feste Stationen betreten und als Transportmittel genutzt werden. Seit Februar 2022 liegt eine Baugenehmigung vor, in Kürze wird in Taufkirchen im Münchener Süden eine Teststrecke entstehen. Der Bau der ersten kommerziellen Ottobahn ist ab 2023 angestrebt.

Angesichts der vorherrschenden Verkehrsverhältnisse in den Städten und dem nicht nur durch die Klimakrise stetig wachsenden Handlungsdruck scheint die Zeit der urbanen Seilbahn als sauberer, staufreier und flexibel integrierbarer Teil von ÖPNV-Netzen gekommen. Schön, dass es mit der Cable Car World nun ein globales Forum dazu gibt.

„Wünschen würde ich mir eine App quer über alle Verkehrsmodi.“

Interview: Harry Wagner ist Professor an der Technische Hochschule Ingolstadt (THI) mit dem Forschungsschwerpunkt „Mobilität der Zukunft“. Dabei stehen intermodale, innovative und nachhaltige Mobilitätskonzepte im Fokus. Im Rahmen verschiedener Lehr- und Forschungsaktivitäten sind auch Seilbahnen als Teil eines öffentlichen ÖPNV immer wieder Schwerpunkte seiner Arbeit. Zudem ist Herr Wagner Co-Founder und Geschäftsführer der FMS Future Mobility Solutions GmbH. Die FMS GmbH beschäftigt sich mit den Zukunftsthemen der Mobilität wie Digitalisierung, hochautomatisiertes Fahren sowie mit innovativen Mobilitätskonzepten.

Herr Professor Wagner, wo sehen Sie die Zukunft der Mobilität in den Städten?

In Zukunft wird der ÖPNV in den Städten, aber auch auf dem Land, deutlich an Bedeutung gewinnen. Das Experiment des 9-Euro-Tickets im Regionalverkehr der Bahn zeigt gerade eindrucksvoll, dass die Öffentlichen gefragt sind bei den Nutzern. Es zeigt aber auch, dass die Infrastrukturen massiv ausgebaut bzw. gepflegt werden müssen, um der Nachfrage standzuhalten. Nachdem wir auf der Ebene Null noch Schwierigkeiten haben aufgrund der immer knapper werdenden Flächen, birgt die schnell bebaubare Ebene +1 der Seilbahn als nachhaltige und flexible Zukunfts- und Brückentechnologie sehr spannende Perspektiven.

Wie schaffen wir es, die Nutzer aus dem Auto und dauerhaft in die Seilbahnen bzw. den ÖPNV zu bringen?

Seilbahnen sind dann nutzungsstiftend, wenn sie integraler Teil der urbanen Mobilität werden und damit Teil des ÖPNV und nicht nur ein nettes Add-on für den Tourismus. Dadurch steigt auch die Rentabilität. Wichtig ist, dass bereits in der Planung und später im laufenden Betrieb immer aus der Nutzerperspektive gedacht und gehandelt wird: Wenn ich als Mobilitätskunde schon 18 verschiedene Buchungs- und Navigations-Apps auf meinem Smartphone haben muss, um von A nach B zu gelangen, vergeht mir die Lust, umzusteigen. Andere Nutzer verlieren vielleicht den Überblick. Was wir benötigen, sind klare, übergreifenden Plattformen und Tarife, die alle verfügbaren Verkehrsmittel sinnvoll integrieren und so eine attraktive Alternative zum Individualverkehr bieten. Wünschen würde ich mir eine App quer über alle Verkehrsmodi. Nur wenn der Nutzer einen Mehrwert erkennt, vom Auto in den ÖPNV umzusteigen, wird er es tatsächlich tun.

Welche Rolle spielt die Erreichbarkeit des ÖPNV selbst?

Eine sehr wichtige Rolle. Oft steht das Auto vor der Tür und der nächste Anschluss ans Netz eben nicht. Da muss in meinen Augen die Infrastruktur in vielen Fällen dichter, aber auch systematischer geplant und realisiert werden. Ein spannendes Konzept sind da in meinen Augen sog. Mobility Hubs, also große und kleinere Knotenpunkte, die verschiedene Verkehrsmittel vernetzen – im Erd- und Untergeschoss sind die U-Bahn-, Tram- und Busbahnhöfe, in den oberen Stockwerken der Anschluss an die urbane Seilbahn, im besten Fall finden sich mit Shopping-Möglichkeiten oder Open Spaces auch weitere Gründe, die zum Aufenthalt und Arbeiten einladen.

Ist die Autoindustrie der Verlierer der Verkehrswende?

Pauschal würde ich das nicht unterschreiben. Es wird massive Veränderungen geben, an die sich die Hersteller anpassen müssen. Dies birgt aber auch die Chance von neuen Geschäftsmodellen für die Autohersteller. Gerade im Bereich der Zukunftstechnik des autonomen Fahrens sehe ich spannende Initiativen, z.B. von Seiten der Seilbahnhersteller, die sich mit der Expertise der OEMs, etwa als Hersteller der Antriebs- und Chassis-Technologien, sehr gut kombinieren lassen könnten.

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Artikel Neu im „Pott“ - die Gondel als Pod
Seite 73 bis 75 | Rubrik infrastruktur
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